Art Brut: "Nicht nur Teilhabe-Gerede"
Die Ausstellung "Elementarkräfte" in Hannover zeigt Werke psychiatrieerfahrener Künstler. Als Botschaft an eine Gesellschaft, die ausschließt. Und als Kunst, die für sich stehen kann.
taz: Warum laufen die Werke in der Ausstellung "Elementarkräfte" unter der Kategorie "psychiatrieerfahrene Künstler" statt dass sie für sich stehen, Herr Spengler?
Andreas Spengler: Am liebsten würde ich ohne Weiteres nur tolle Kunst zeigen. Das ist auch die Programmatik der Künstlergruppe Schlumper, die die Ausstellung mitgestaltet. Die Kunstwelt hat die "art brut", also Kunst auch aus psychiatrischem Kontext, längst erschlossen. Viele unserer Werke waren in der Hamburger Kunsthalle und im Sprengel-Museum Hannover. Aber: Die seit den 20er Jahren bekannte Gattung Kunst aus psychiatrischem Kontext hat auch Eigenheiten, sie ist nicht unpolitisch und nicht unhistorisch.
Was folgt daraus?
Wir benutzen die Kunst auch als Botschafterin für das Anliegen der Menschen, die diese Kunst dort zeigen. Wir kommen aus dieser Dialektik nicht heraus und wir wollen es auch nicht.
Was meinen Sie mit Eigenheiten?
In der historischen Betrachtung haben die Menschen in den Anstalten in ihrer Isolierung völlig eigene Bild- und Formsprachen gefunden. Die frühe Kunst aus den psychiatrischen Anstalten der Jahre 1920 bis 1940 hat die Moderne stark beeinflusst, wenn man zum Beispiel an Adolf Wölfli denkt, der 35 Jahre in der psychiatrischen Klinik lebte - Künstler wie Paul Klee und Jean Dubuffet haben diese Werke gesammelt, die sie durch ihre Freiheit und ihre Symbolik beeinflusst haben. Heute sieht man eigentlich gar keinen Unterschied: Die Kunst der Autodidakten ist genauso stark wie die der akademisch ausgebildeten Künstler.
Wo liegt die politische Botschaft?
Kunst von psychiatrieerfahrenen Menschen ist eine Botschafterin in einer Gesellschaft, in der sie in Wahrheit immer noch keine echte Inklusion und keine echte Normalität erfahren. Und weil wir mehr wollen als irgendein Teilhabe-Gerede, möchten wir, dass in diesem Kontext Kunst auch Botschafterin ist.
Vor Jahrzehnten machte sich die Psychiatrie-Reform-Bewegung auf- warum kann von Inklusion immer noch nicht die Rede sein?
Wir haben seitdem einen großen Aufbruch gehabt in der Befreiung und in der Begegnung psychisch Kranker mit der Fachwelt, aber wir haben hier und da auch einen gesellschaftlichen Roll-back: mit Ärztemangel, Bettenabbau und der Kommerzialisierung psychiatrischer Einrichtungen. Wir Psychiater dürfen uns nicht darauf ausruhen, zu sagen: Jetzt ist alles in Ordnung; wir sind alle nett zu psychisch Kranken. Der Auftrag, auch im Sinne der UN-Behindertenkonvention, ist echte Anerkennung und echte Inklusion.
Wie haben Sie die Auswahl für die Ausstellung getroffen?
Es soll möglichst einen Bezug zu Norddeutschland geben und die Werke müssen für sich sprechen. Abgesehen davon mischen wir historische Profikünstler mit Psychiatrievergangenheit mit jungen unbekannten Künstlern von heute mit ganz aufregenden Werken. Da helfen unsere Kontakte zu den Schlumpern in Hamburg und Haus 18 der Psychiatrie Ochsenzoll. Wir haben klasse Sachen aus dem Maßregelvollzug dabei.
In der Ausstellung werden auch Werke von KünstlerInnen gezeigt, die unter den Nazis zwangssterilisiert oder ermordet wurden. Waren andere durch ihre Prominenz davor geschützt?
Die Profikünstler, die schon einen Namen hatten, hatten etwas bessere Chancen, gerettet zu werden. Aber Elfriede Lohse-Wächtler beispielsweise wurde zwar lange geschützt, dann aber doch ermordet. In den 30er Jahren, als sie auf St. Pauli malte, wurden ihre Werke noch vom Senat aufgekauft. Sie war eine bekannte Künstlerin in Hamburg, wurde dann aufgrund der Diagnose Schizophrenie zwangssterilisiert und brach völlig zusammen. 1940 wurde sie vergast.
Die Ausstellung Elementarkräftezeigt bis zum 30. 5. Werke psychiatrieerfahrener Künstler in derStädtischen Galerie KUBUS in Hannover. Heute findet von 16.30 bis 18.30 Uhr das Symposium "Künstler als Opfer der NS-Psychiatrie" statt.
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