Arsenal London vs. AC Milan: Tot in Sekunden
Arsenal London will endlich die Champions League gewinnen. Arsène Wengers Tempofußball trifft im Achtelfinale auf den Meister der Effizienz: den AC Milan.
LONDON taz Zeitmangel und Terminhatz sind des Trainers größte Plagen, manchmal kommt die nächste Partie jedoch gar nicht früh genug. "Wir waren nie im Spiel, das kann einen verrückt machen", hat Arsène Wenger nach der beschämenden 0:4-Pokalniederlage bei Manchester United am Samstag gesagt, "aber ich werde nicht verrückt, weil wir am Mittwoch so ein riesiges Spiel vor uns haben und uns die Größe der Partie unsere Enttäuschung vergessen lassen wird."
Wenn sich der Franzose da mal nicht irrt. Zum zehnten Mal in Folge versucht Wenger nun, die Champions League mit dem FC Arsenal zu gewinnen, trotz zahlreicher Titel in England und weltweiten Ovationen für das schöne Spiel der Londoner blieb das Gesamtkunstwerk bisher unvollendet. Nun stellt sich ausgerechnet der AC Milan (20.45 Uhr, Premiere) zwischen den Meister und den letzten Pinselstrich; jene Altkönner, die in den letzten Jahren Mannschaften jeglicher Couleur mit ihrer kühlen, klaren Effizienz verzweifeln ließen.
Das Team, dem schon seit langem die Zukunft versprochen wird, gegen eine Elf, die sich partout nicht in die Vergangenheit verabschieden lässt: Das ist mit Sicherheit das spannendste Duell des Achtelfinals, wahrscheinlich wird es auch das beste sein. "Beide Mannschaften spielen ein sehr technisches Spiel, das auf Ballbesitz und Raumaufteilung basiert", sagt Englands Nationaltrainer und Ex-Milan-Coach Fabio Capello. Im Emirates-Stadion prallen deswegen nicht zwei Spielideen, sondern eher zwei verschiedene Geschwindigkeiten zusammen. "Arsenal kontert mit vier, fünf Spielern so schnell, dass der Gegner gar nicht merkt, was ihm passiert", sagt Capello: "Sie spielen Fußball, wie wir ihn gerne in Brasilien sehen: mit Stil, ständigen Positionswechseln und blitzschnellen Pässen", lobt Milans Superstar Kaká den Gegner.
Die Italiener greifen dagegen viel langsamer und nie in großer Anzahl an. Die nahezu perfekte Ökonomie im Spiel des Titelverteidigern entspringt der beispiellosen Erfahrung des Kaders, der ein Durchschnittsalter von 32 aufweist, seit Ewigkeiten nur mikroskopische Veränderungen erfahren hat und sein Haltbarkeitsdatum immer wieder eigenmächtig verlängert. Die Einteilung der Kräfte geht so weit, dass man wie im Vorjahr quasi die gesamte Hinrunde abgeschenkt hat. "Alle sagen wieder, dass sie nicht gut spielen", hat Arsenals Mittelfeldstratege Cesc Fábregas bemerkt, "aber diese Mannschaft kann dich in einer einzigen Sekunde töten."
Nesta, Maldini, Seedorf und alle die anderen Routiniers wieder ein knappes Jahr älter geworden, und doch werden neun von den elf Spielern, die im Finale von Athen aufliefen, voraussichtlich auch in London zum Einsatz kommen, darunter sogar der unvermeidliche Pippo Inzaghi, 34, Schrecken aller Linienrichter. Für den am Knöchel lädierten Alexandre Pato, 18, der seit seiner Ankunft aus Brasilien im Januar Milan ganz im Alleingang zu besseren Liga-Ergebnissen inspirierte, reicht es wohl nur für die Bank. Dafür wird höchstwahrscheinlich der dritte Torwart Valerio Fiori sein Champions-League-Debüt für die Rossoneri geben. Dida und Ersatzmann Zeljko Kalac sind beide verletzt. Mit seinen 38 Jahren wird der gebürtige Römer die Alterstruktur nur unwesentlich verändern. Arsenals einziger 38-Jähriger wird dagegen keine zusätzliche Spielpraxis sammeln dürfen. Stammkeeper Manuel Almunia ist nach einer Grippe wieder einsatzbereit, Jens Lehmann bleibt nur ein Platz auf der Bank.
Obwohl viele Experten die hochtalentierten, in der heimischen Liga derzeit mit fünf Punkten führenden Gunners im Vorteil sehen, reklamiert Wenger für seine Jungen clever die Rolle der Underdogs in diesem fußballerischen Generationenkonflikt. "Sie haben die Erfahrung und sind Favoriten, ganz knapp", sagt er, "wir sind ein Team, das erst nach oben kommt. Das Ergebnis wird uns zeigen, ob wir die Champions League gewinnen können." Eine Reifeprüfung also, die eine Gefahr birgt: Die offenkundig reifere Mannschaft kann sie auch bestehen. "Wir haben Besonnenheit und Routine, wir sind Experten in solchen Spielen", sagt Milan-Trainer Carlo Ancelotti. Der Mann hat mal wieder die Ruhe weg. Verrückt machen sollen sich die anderen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich