Aron Boks über Protest : Der Boomer in mir
Aron ist beliebt bei seinen älteren Freunden, weil er verständnisvoll ist und nicht demonstriert. Eine Aktion der Letzten Generation macht ihn nachdenklich.
Von Aron Boks
taz FUTURZWEI, 10.11.2022 | Protest, ja – aber doch nicht so … Bisher war der Spruch ok. Aber jetzt höre ich den Satz überall. Ich bin das erste Mal live bei einer Aktion der Letzten Generation dabei.
Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Die acht Aktivistinnen sitzen gefühlt eine Sekunde und haben noch nicht einmal ihre Hände auf den Asphalt der Hauptstraße in Berlin-Friedrichshain geklebt, da steht schon ein Typ vor ihnen, der ebenfalls diesen Satz sagt. Und jetzt kann ich den einfach nicht mehr bringen. Nicht ohne mich dabei zu fühlen wie dieser Ende 50jährige Typ mit Bierbauch und BMW, der noch direkter wird:
„Man sollte euch alle einsperren und nie wieder rauslassen!”, schreit er und versucht, eine der Frauen wegzuzerren. Die halten ein Schild hoch: „Was, wenn die Bundesregierung das nicht im Griff hat?“
„Wie soll denn der Krankenwagen durchkommen?“, tönt es jetzt von überall. Selbst aus dem nahegelegenen U-Bahnhof. Das kann eine Ablenkungsdiskussion sein, aber auch ein Überlebensproblem, keine Frage. Aber hier wird gar keiner gebraucht und außerdem bilden die Aktivist:innen bei jeder Blockade eine Rettungsgasse, wie ich später erfahre.
„Die Fresse soll man euch einschlagen!“, schreit ein Typ auf der gegenüberliegenden freien Fahrbahn.
„Na klar ist es anstrengend, sich ständig diesem Hass auszusetzen. Aber wir machen weiter für unsere Kinder!”, höre ich eine Frau aus der Mitte der Sitzblockade sagen. Und auch etwas sehr Bewegendes über die Zukunft, aber ich kann mich kaum konzentrieren. Denn inzwischen bin ich längst in ein Gespräch mit einer alten Frau vertieft. Sie stellt sich als Alma vor und erzählt mir, wieso ihre eigene 50jährige Tochter es im Leben schwer hat.
„Das hier ist aber völlig bekloppt!”, sagt sie dann und zeigt auf die Aktivistinnen. „Da muss ich die jungen Leute mal fragen, ob’s noch hackt? Klimakatastrophe, ja ja. Bisschen dramatisch, was?”
Dann macht sie eine Pause und lächelt mich an. „Mit dir kann man aber wenigstens noch reden.”
Na toll. Wenig später ist Alma verschwunden, die Aktivistinnen sind verhaftet und die Autos fahren wieder. So ein Scheiß. Mit mir kann man wenigstens reden, denke ich wieder, und daran, in meinem Bekanntenkreis der mit den meisten Freunden und Bekannten über 60 zu sein.
Natürlich sind es nicht nur die Jungen, die auf die Straße gehen. Der Klimawandel beschäftigt Menschen in jeder Altersgruppe. Und auch alte Menschen demonstrieren dagegen – aber meine alten Freunde machen das nicht.
Genauso wenig wie ich bisher.
Die Gesellschaft stören
„Man muss die Gesellschaft stören, um auf Missstände hinzuweisen”, sagt mein Freund Lennard am Nachmittag auf seinem Balkon, als ich ihm von der Aktion erzähle. Er ist Anfang 20 und wie sich herausstellt hat selbst er schon einmal bei einer Sitzblockade mitgemacht. Mit Extinction Rebellion. Auf einer stillgelegten Straße, ohne Krawall. Aber immerhin. Er ist ehemaliges FDP-Mitglied und ich habe ihn heute besucht, um mich etwas weniger allein in meinem nicht vorhanden Aktivismus zu fühlen.
„Und weißt du, was das Problem mit unserer Sitzblockade war?“, fragt er irgendwann. „Die Leute hat das nicht interessiert. Das war nicht radikal genug.“
„Ja, aber was kommt als nächstes? Die Entführung von Politikern?”, fragt mich Uwe, Mitte 60, beim Abendessen. Wir treffen uns regelmäßig bei seinem Lieblingsitaliener im Prenzlauer Berg.
„Das mit den Festklebern ist mir alles zu sektenhaft! Die pachten die Weisheit für sich: 'Wir wissen wie es geht und wenn ihr nicht macht was wir sagen wird alles furchtbar!'”, sagt er weiter. „Ich will jetzt nicht über meine glorreichen Jahre als Anarcho-Student in Frankfurt erzählen, aber …” Und als er dann doch genau das macht, höre ich einfach zu.
Genau wie bei Bauer Arnfried, Anfang 60, der im Dorf neben der Heimatstadt meiner Eltern im Harz wohnt. Sein Häuserfassade ziert ein Schild mit der Aufschrift: „Unser Hof hat Napoleon, Hitler, Stalin und Co. überlebt. Unser Hof überlebt auch die Grünen”
Ich habe ihn bei unserem ersten Treffen im Sommer eigentlich nur fragen wollen, was das soll und schließlich bei der Getreideernte geholfen. Und ich habe den Mund gehalten als er sagte, dass wir alle „beschissen werden“. Und auch als er mir ein Foto zeigte, das beweisen wollte, dass es ja auch früher heiße Sommer gegeben hätte. Ein paar Tage später hat der Wald im Harz gebrannt und das Schild von Bauer Arnfried hängt noch heute.
Überforderte Generationen
Ich rufe bei Ulrich Reinhardt an – er ist Professor für Zukunftsforschung an der „Stiftung für Zukunftsfragen” in Hamburg. Ich erzähle ihm von meinen Boomer-Freunden, von Arnfrieds Schild, von Alma und den wütenden Alten bei der Protestaktion.
„Ich finde es ja spannend, was Sie für Freunde haben”, sagt er.
„Nein, das sind nicht alles meine Freunde, also …”
„Kleiner Spaß. Also die ältere Generation hat sich schon immer über die junge Generation aufregt. Das ist typisch. Weil die Älteren nicht verstehen was die Jüngeren machen. Die einen haben die Zukunft vor sich, die anderen – um es hart zu sagen – nicht”, sagt er. „Und die Jüngeren sind in vielem einfach besser. Mein Sohn ist 17 und ist technisch viel begabter als ich. Das muss man erstmal mit 50 akzeptieren, ich bin doch der Professor! So geht es vielen Alten gerade. Und bei der Klimakrise ist es noch komplizierter, weil sie viel abstrakter wirkt. Das überfordert alle sowieso schon und dann stehen sich auch noch Generationen gegenüber.”
„Aber die Überforderung geht ja durch alle Altersgruppen“, sage ich.
„Ja, deswegen müssen sich alle Generationen zusammentun – mit der Konzentration auf gemeinsame Werte anstatt auf Unterschiede.“
Für die Utopie!
Vielleicht hat der Professor recht, denke ich und daran, wie Bauer Arnfried mir damals erzählt hat, dass der Hof seiner Familie mehrfach enteignet wurde. Erst von Nazis, dann von Kommunisten. Zwar hatte er kein Interesse daran, zu diskutieren, ob die Grünen wirklich so schlimm sind, sondern mehr Lust, mir Traktor fahren beizubringen. Aber dann wurde doch der Softie befreit, der in ihm schlummert und der sich auch vor dem Klimawandel sorgt. Genau wie ich.
Gut – Arnfried sagte: „Dann kann ich die ganze scheiß Ernte vergessen!” Aber wir meinten sicher das gleiche.
Und mit Uwe treffe ich mich doch liebend gern, um mit ihm die gesellschaftliche Lage bei seinem Lieblingsitaliener zu checken und von seinem Vitello Tonnato zu kosten, das ich mir natürlich niemals selbst bestellen würde.
„Wir haben damals für eine Utopie gekämpft!”, sagte er mir gestern. „Nicht gegen die Dystopie.“
Und noch bevor ich antworten kann sagt er dann doch: „Klar, das war auch einfacher.“ Aber ich habe bisher immer noch für gar nichts gekämpft.
Also frage ich Lennard per SMS, was er am Wochenende vorhat. Seine Sitzblockade liegt immerhin auch schon einige Zeit zurück. Die Letzte Generation bietet bald wieder Vorträge für alle an. Das wäre doch schon mal ein Anfang.
„Erst mal Club am Samstag, ja?“, schreibt er.
Richtig, das hatte ich vergessen. Aber danach geht’s los!
Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Eine alte Weisheit meines Großvaters.
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.