Ari Folmans "Waltz with Bashir" in Cannes: Das Trauma von Sabra und Schatila
Der in Cannes gezeigte Animationsfilm "Waltz with Bashir" des israelischen Regisseurs Ari Folman handelt von den Traumata des Libanonkriegs.
Das Hotel, in dem ich Jahr für Jahr unterkomme, ist verkauft. Es war ein Familienbetrieb, improvisiert, bescheiden, laut und ohne Komfort, dafür reichen fünf Minuten Fußweg, um zum Palais des Festivals zu gelangen. Obwohl schon alle Gäste angereist sind, wird in einigen Zimmern noch renoviert. Barbara, die ehemalige Besitzerin, ist zur Geschäftsführerin herabgestuft. Sie klagt über den neuen Besitzer und dessen Herzlosigkeit. "Hässlich" habe er die Zimmer genannt. In den schmalen Gängen stehen Schränke und Matratzen, die der neue Besitzer hat anliefern lassen, sie blockieren den Weg. Im ersten Stock riecht es nach frischer Farbe. Bis Mitternacht sind die Handwerker im Einsatz. "Nächstes Jahr kostet ein Zimmer 300 Euro pro Tag", sagt Barbara. Jetzt sind es 150.
Der Wettbewerb, mit Fernando Meirelles "Blindness" glücklos eröffnet, nimmt derweil zögerlich Fahrt auf. Der argentinische Regisseur Pablo Trapero, bekannt als einer der führenden Köpfe des "nuevo cine argentino", steuert mit "Leonera" einen Gefängnisfilm bei, in dessen Mittelpunkt eine junge Frau namens Julia (Martina Gusman) steht. Sie ist angeklagt, ihren Freund umgebracht zu haben, und sie ist schwanger. Im Gefängnis kommt ihr Sohn zur Welt und wächst zunächst dort auf - bis Julias Mutter ihn an sich nimmt, gegen den Willen Julias. Das ist stellenweise subtil und nüchtern inszeniert, etwa in der Szene, als der Sohn in der Wohnung der Großmutter aus dem Fenster schaut und der Reflex des Balkongitters auf den Scheiben sich über sein Gesicht legt, als wäre er in einem neuen Gefängnis. Oder wenn es für Julia zum Kaiserschnitt keine Alternative gibt, offenbar, weil das für das Personal weniger Arbeit bedeutet als eine gewöhnliche Geburt. In solchen Momenten offenbart sich das Wesen des Disziplinierungsapparats, ohne dass Trapero dramatisieren und zuspitzen müsste. Zwischendurch lässt er sich dann doch mitreißen, was angesichts der hohen Emotionalität des Sujets nicht verwundert, den Film aber eine Spur konventioneller macht, als er sein müsste.
Der israelische Regisseur Ari Folman ist mit einem Film nach Cannes gereist, der Autobiografie und Animation verbindet: "Waltz with Bashir". Ari, die Hauptfigur, war in den 80er-Jahren als Soldat im Libanon stationiert, erinnert sich heute aber nurmehr schemenhaft. Nachdem ihm ein Freund einen Albtraum erzählt hat, der aus der Zeit im Libanon herrührt, beginnt Ari nachzuforschen. Er spricht mit Weggefährten und versucht deren Erinnerungen mit seinen eigenen abzugleichen - ein komplizierter Prozess, weil echte und erfundene Erinnerungen, Träume und Blackouts sich überlagern. Ari ahnt, dass die Erinnerung an die Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila ihn heimsuchen. Ihm ist aber nicht klar, welche Rolle er selbst dabei spielte. In einem Traum steigt er zusammen mit zwei anderen Soldaten aus dem Meer, nackt, in der Hand tragen sie Maschinengewehre. Vor ihnen muss etwas Entsetzliches liegen, aber den Blick darauf gibt der Traum nicht frei - und damit auch der Film nicht, bis zu seinen letzten Minuten.
Die Klarheit der Animation, das Nebeneinander von Traum und Wirklichkeit, der etwas grobe Strich, dazu der harte Einsatz von Musik: All das öffnet Folman einen Raum, in dem er viel direkter über Erinnerung, Trauma und Vergessen reflektieren kann, als das im Realfilm möglich wäre. Wie leicht die Gefahr von Plumpheit droht, zeigt der Regisseur unfreiwillig in den letzten Einstellungen. Es sind Videobilder aus den Lagern, aufgenommen am Morgen nach dem Massaker. Man sieht obszön verformte Leichen, Fliegen, Blut und Staub. An dieser Stelle hat man zum ersten Mal den Eindruck, "Waltz with Bashir" wolle zu Empathie und Emotion zwingen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht