Argentinischer Gerichtsentscheid: Foltergeneräle aus Haft entlassen
Argentiniens Justiz muss Militärs freilassen, weil die Frist für Prozesse abgelaufen ist. Präsidentin Kirchner bezeichnete den Entscheid als "Schande für das Justizsystem".
BUENOS AIRES taz In Argentinien hat das nationale Kassationsgericht die Freilassung von zwölf ehemaligen Militärs auf Kaution angeordnet, die für Verbrechen der Militärdiktatur (1976-1983) verantwortlich gemacht werden. Als Begründung gab das Gericht den Ablauf der Frist an, innerhalb deren ein in Untersuchungshaft einsitzender Angeklagter rechtskräftig verurteilt werden muss. Ob die Angeklagten tatsächlich auf freien Fuß kommen, ist bisher jedoch noch offen. Die Gerichtsverfahren gegen die Angeklagten sollen fortgesetzt werden.
Die zwölf früheren Marineangehörigen stehen wegen Folter, Mord und Verschwindenlassen von Personen in der früheren Mechanikerschule der Marine ESMA vor Gericht. Die ESMA war eines der größten geheimen Haft- und Folterzentren der Militärdiktatur. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass hier mehr als 5.000 Menschen gefoltert wurden und später verschwanden. Die Kinder, die schwangere Gefangene dort zur Welt brachten, wurden illegal zur Adoption gegeben.
Unter den Angeklagten ist auch der als "blonder Todesengel" bekannte und berüchtigte Alfredo Astiz. Der frühere Marinekapitän hatte im Februar beim Kassationsgericht Beschwerde gegen seine Haft eingelegt und darauf verwiesen, dass er bereits seit viereinhalb Jahren ohne rechtskräftige Verurteilung in argentinischer Untersuchungshaft einsitzt. In Argentinien darf ein Angeklagter nicht länger als zwei Jahre ohne Urteil einsitzen, nur bei komplizierten Verfahren ist eine einmalige Verlängerung von einem Jahr vorgesehen. 1990 wurde er in Abwesenheit bereits in Frankreich und im März 2008 in Italien wegen der Ermordung französischer und italienischer Staatsangehöriger während der Militärdiktatur verurteilt. Argentinien hat seine Auslieferung stets abgelehnt.
Präsidentin Cristina Kirchner bezeichnete den Gerichtsentscheid als "eine Schande für das Justizsystem" des Landes. "Es würde mich sehr beschämen, wenn er durch ein Gericht im Ausland der Gerechtigkeit zugeführt werde, weil wir es in 25 Jahren nicht geschafft haben, ihm den Prozess zu machen", so die Präsidentin. Damit spielte sie auf eine Auslieferung von Astiz nach Frankreich an.
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