OKTOBER: ZWEI SCHARFSCHÜTZEN MORDEN IM GROSSRAUM WASHINGTON: Enttäuschte Kinogänger, salziges Popcorn
Klappe, die erste.
Als das Scharfschießen ein Ende fand, sagte mir ein Freund, er sei enttäuscht von den beiden Scharfschützen, weil sie sich so schnell haben erwischen lassen und mit den paar Opfern nicht in die Geschichte der amerikanischen Attentäter eingehen werden. Es ist kein sehr guter Freund. So was sagen Menschen, die zu viele amerikanische Filme gesehen haben. Wahrscheinlich sind das auch die Kinogänger, die salziges Popcorn essen.
Amerika nimmt man die eigene Realität nicht ab, nur krumm. Man sieht sofort die erste Szene vor dem inneren Kino, in dem es nur süßes Popcorn gibt: Ein Mädchen wird auf dem Schulweg erschossen. Dann fährt Bruce Willis vor, sieht gut aus in der FBI-Jacke, springt aus dem Wagen und kneift die Augen zusammen. Weniger sportlich sein schwarzer Kollege, dessen Frau es auch erwischen wird. Die Mutter des erschossenen Mädchens verliebt sich in Bruce Willis, wischt die Tränen weg und legt Schminke nach.
Alles Fucktion! Es gibt schließlich viel bessere Realitäten als die unsere. Die derjenigen zum Beispiel, die, sobald etwas passiert, ihre Verschwörungsthesen ins Internet nageln. Oder die der So-Gott-es-will-Gläubigen, die in allem einen Sinn wissen. Irgendwie beneidenswert. Da muss man nicht wie ich einfaches Heidenkind viel Wasser trinken, damit man mehr heulen kann. Oder Bier.
Ich glaube, sobald etwas weiter entfernt ist als der Steinwurf eines in die Jahre gekommenen Autonomen, haben die meisten Menschen keinen Kerzenschimmer vom Brandherd. Eine Freundin zum Beispiel, die zu der Zeit in Amerika weilte, musste täglich ihre Mutter anrufen, obwohl die angeblich Gefährdete zig Kilometer von den Kreideumrandungen in Sniper-City entfernt war.
In meinem Kopf entsteht eine viel bessere Dramaturgie: Eine Verfolgungsjagd hat gefehlt. Bruce Willis hat gefehlt. Und wenn ich schon viele Steuern zahle, will ich wenigstens sehen, wie das Schwein stirbt.
Klappe.
KIRSTEN FUCHS
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