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Nur die Großen bleiben

ERFAHRUNGEN In der Schweiz ist die Milchquote seit 2009 abgeschafft. Viele kleine Bauern mussten deswegen aufgeben und die größten Verarbeiter haben ihren Marktanteil vergrößert

Die Schweizer Lebensmittelläden wurden mit geschmacklosen Emmentaler-Imitationen überschwemmt

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Die Deregulierung des Marktes hat in der Schweiz die Milchpreise abstürzen lassen und den Konzentrationsprozess bei der Milch verarbeitenden Industrie vorangetrieben. Viele Bauern sind ganz aus der Milchproduktion ausgestiegen. Dies zeigt eine im April 2014 veröffentlichte Studie der Berner Hochschule für Agrarwissenschaften, die im Auftrag des European Milk Board (EMB) erstellt wurde. Der EMB ist der europäische Dachverband der Milchviehhalter.

Den Beschluss zur Abschaffung der Milchquote hatte das eidgenössische Parlament bereits 2003 gefasst. Diese Entscheidung war der vorläufige Endpunkt einer Reihe von Agrarreformen, zu der sich die Schweiz in den 90er-Jahren gegenüber der Welthandelsorganisation (WTO) und deren Vorläufer, dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Gatt), verpflichtet hatte.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte die Schweizer Agrarpolitik in erster Linie auf staatlichen Unterstützungsleistungen sowie auf Preis- und Abnahmemengengarantien für die Bauern beruht. Mit den 1977 eingeführten Mengenkontingenten (Milchquoten) sollten, wie später bei deren Einführung in der EU, Überproduktion und Preisverfall verhindert werden. Erklärtes politisches Ziel war dabei auch die Existenzsicherung der Landwirte mit kleinen Anbau-und Weideflächen in den schwer zugänglichen Tälern und in den Bergregionen des Landes.

Bereits 1999 trat eine neue Milchmarktordnung in Kraft, mit der auch die Preis- und Mengengarantien abgeschafft und die Preisstützungsmaßnahmen abgebaut wurden. Parastaatliche Institutionen des Milchsektors wie die Schweizerische Käseunion verloren ihre Existenzberechtigung und wurden aufgelöst.

Die Milchquote blieb aber vorerst bestehen, obwohl die in der Schweiz produzierte Milchmenge schon damals über dem inländischen Bedarf lag. 2001 wurden rund 20 Prozent der Milch zu Exportprodukten verarbeitet: neben Käse – dem wichtigsten Exportprodukt – vor allem Milchpulver oder Milch als Zutat von Schokolade.

In Folge der Liberalisierungsmaßnahmen sank der Erzeugerpreis für einen Liter Milch zwischen 1997 und 2000 von 1,07 Franken auf 78 Rappen. Seit der Abschaffung der Milchquote fiel er bis 2013 auf unter 50 Rappen.

Die Abschaffung der Milchquote verstärkte einen Konzentrationsprozess, der bereits in den 90er-Jahren eingesetzt hatte: Die Zahl der Milch produzierenden Betriebe sank bis 2012 um fast 15.000 oder 37 Prozent im Vergleich zu 1999. Die verbleibenden Betriebe erhöhten ihre Produktion. 1999 molken erst 20 Prozent der Betriebe mehr als 100.000 Liter Milch pro Jahr, 2012 waren es 56 Prozent. Sieben Prozent aller Betriebe molken im Jahr 2012 sogar über 300.000 Liter Milch – 1999 hatte noch kein einziger Betrieb diese Menge erreicht.

Auch die Marktkonzentration unter den Milch verarbeitenden Unternehmen hat deutlich zugenommen. Die vier größten Milchverwerter steigerten ihre Verarbeitungsmenge zwischen 2003 und 2012 um 38 Prozent und erhöhten ihren Anteil an der insgesamt in der Schweiz verarbeiteten Milchmenge von 44 auf 56 Prozent.

Andererseits hat die Abschaffung der Milchquote – anders als von den Befürwortern dieser Maßnahme angekündigt – nicht zu einer signifikanten Senkung der Endverbraucherpreise für Milchprodukte geführt. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass in der Schweiz im Lebensmittelsektor kein freier Wettbewerb, sondern ein kartellartiger Zustand existiert, da die beiden Ketten Migros und Coop über 80 Prozent des Marktes beherrschen. Butter ist in den letzten fünf Jahren seit Abschaffung der Milchquote sogar teurer geworden.

Auch das erklärte Ziel, die Schweizer Milchwirtschaft international wettbewerbsfähiger zu machen, wurde nicht erreicht. Butter kann nur mit erheblichen Verlusten exportiert werden. Eindeutige Aussagen, wie sich die Abschaffung der Milchquote auf die Wettbewerbsfähigkeit ausgewirkt hat, lassen sich allerdings nicht treffen. Denn in den letzten Jahren wurden auch die bilateralen Importrestriktionen für Milchprodukte und andere Agrarerzeugnisse zwischen der Schweiz und der EU aufgehoben.

2011 konnte die Schweiz nur noch halb so viel ihres einstigen Exportschlagers Emmentaler-Käse in die EU exportieren wie 1999. Zugleich wurden die Schweizer Lebensmittelläden mit billigen, geschmacklosen Emmentaler-Imitationen aus Holland und anderen EU-Ländern überschwemmt. Beim Gruyère-Käse, dessen Produktname geschützt ist, konnte die Schweiz den Export in die EU im gleichen Zeitraum hingegen um 35 Prozent steigern.

Weil die Milchproduktion in der EU 2014 schon äußerst hoch war und die Preise bereits tief, wird der Wegfall der Milchquote in der EU kurz- und mittelfristig wohl keine Konsequenzen für die Schweiz haben. Längerfristig allerdings wohl: Ab 2016 ist zu erwarten, dass die Regionen der EU, die wie Nordfrankreich, Norddeutschland und Dänemark besonders günstig Milch produzieren, ihre Produktion steigern – und die Schweiz mit ihren Preisen unter Druck setzen.

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