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STADTGESPRÄCH AUS NEW YORKMietpreise wie die Skyline

FAST JEDER VIERTE NEW YORKER PROFITIERT BISLANG VON MIETPREISBINDUNG. JETZT SOLL SIE FALLEN

Wenn mehr als zwei New Yorker aus der „Middle Class“ zusammensitzen, kommt das Gespräch unweigerlich auf die Mieten. Die sind „too damn high“. Stadtweit sind die Mieten in den zurückliegenden dreizehn Jahren um 32 Prozent gestiegen. Aus Harlem, wo sich Mieten im selben Zeitraum fast verdoppelt haben, fliehen immer mehr Alteingesessene in die Suburbs. Sie kommen nur noch sonntags zurück, zum Kirchenbesuch.

Wenn bis Montag kein kleines Wunder in Albany, der Hauptstadt des Bundesstaates New York, geschieht, wird sich die Mietenexplosion in der größten Stadt der USA noch beschleunigen. Denn dann läuft das Gesetz aus, das einen Teil der Mieten in New York kontrolliert. Die Lobby der Bauträger und Immobilienagenturen wollen die Mietpreisbindung komplett kippen. Die Republikaner, die den Senat von New York kontrollieren, sowie einzelne Demokraten haben sich auf ihre Seite geschlagen.

Diese Seite argumentiert fundamentalkapitalistisch. „Eigentum ist Eigentum“, sagt der Boss des „Real Estate Board“ der Stadt, „die Wohnung gehört nicht dem Mieter, auch wenn er 30 Jahre darin bleibt. Der Vermieter hat das Recht, sie Leuten zu geben, die das Doppelte und Dreifache zahlen wollen.“

Am anderen Ende steht New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio. Der Demokrat vom linken Parteiflügel will die Mietpreisbindung verstärken und auf zusätzliche Wohnungen ausweiten.

Knapp eine Million Wohnungen haben gegenwärtig „stabilisierte Mieten“. In ihnen leben rund 2,5 Millionen New Yorker – fast ein Viertel der Einwohner der Stadt. Die Wohnungen gehören Privatleuten, sind aber an Regeln gebunden. So darf die jährliche Mieterhöhung vier Prozent nicht übersteigen.

Doch jedes Jahr fallen 40.000 Wohnungen weniger unter die Mietpreisbindung. Der Trick: Sobald eine Miete 2.500 Dollar erreicht, fällt die Wohnung aus der „Stabilisierung“ heraus. Bürgermeister de Blasio will diese Obergrenze erhöhen. Die Wohnungslobby hält mit einem vermeintlich sozialen Argument dagegen: „Warum sollen Leute, die sich ein Haus in den Hamptons oder an der Jersey Shore leisten können, in New York von einer Mietpreisbindung profitieren.“

Für Zuzügler ist es so gut wie ausgeschlossen, eine mietpreisgebundene Wohnung in der Stadt zu ergattern. Sie können allenfalls zur – befristeten – Untermiete einziehen. Als Mieter auf dem „freien“ Markt sind sie völlig schutzlos. Und die jährliche Mieterhöhung ist für sie ein Katastrophentag: Wer nicht zahlen kann, was der Vermieter verlangt, muss gehen.

New Yorker sagen, dass sie trotz der astronomischen Mieten nirgendwo sonst wohnen wollten. Doch das Schicksal der alteingesessenen Harlemites droht, wenn die Mietpreisbindung fällt, als Nächstes der Middle Class.

Wenn die aber auch aus New York verschwindet, bleiben zwei Gruppen zurück: die Armen, die in den abgeranzten Wohntürmen leben, und die russischen Oligarchen, saudischen Prinzen und US-amerikanischen „1-Prozenter“, die sich Apartments in den neuen Wolkenkratzern leisten können, die am Südrand von Central Park in den Himmel ragen. Letztes Jahr sind dort einzelne Wohnungen für 90 und 100 Millionen Dollar verkauft worden.

Dorothea Hahn aus New York

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