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G’schwätzt oder nicht?

ZUG „Jesus würde oben bleiben.“ Mit diesem Slogan machen Stuttgart-21-Gegner auf dem Kirchentag Reklame für ihr Anliegen und bleiben doch meist unter sich. Beobachtungen an der belebten Bahnhofsbaustelle

VON BENEDIKT PETERS

Eins, zwei, drei, vier, fünf. Fünf Schritte müsste Matthias von Herrmann jetzt machen, dann fiele er in die Grube. In die Grube, die er immer verhindern wollte und in der nun drei Bagger stehen, reglos zwar, aber ihre Schaufeln wie zur Drohung erhoben. „Das ist noch gar nichts“, sagt Matthias von Herrmann und blickt in den zehn Meter tiefen Schacht. „Die Arbeiten stehen ja erst am Anfang. Er soll noch viel, viel tiefer werden, bis zu 25 Meter. So ein Irrsinn.“

Von Hermann hat blasse Haut, eine Brille ohne Rand und ist Sprecher der „Parkschützer“, einer der wichtigsten Gruppen im Protest gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. Den „Irrsinn“ will er verhindern. Deswegen steht er an diesem Mittwochnachmittag in dem Personentunnel des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der die Gleise mit dem Bahnhofsgebäude verbindet. Direkt über der Grube, in der bald der von vielen so verhasste Tiefbahnhof gebaut werden soll. Auf seinem roten T-Shirt haben sich dunkle Flecken gebildet, an den Schläfen rinnt ihm der Schweiß. Trotzdem, er darf jetzt nicht schlappmachen: Die Züge spucken gerade Tausende Kirchentagsbesucher aus, und fast alle müssen an ihm und seinen Flyern vorbei. „Kann denn Bahnhof Sünde sein?“, steht auf einem, auf anderen heißt es so: „Jesus würde oben bleiben.“ 900 Stück hat von Herrmann heute schon verteilt. Sie kündigen eine Großdemo für den Samstag an, Parkgebete und Baustellenführungen. Von Herrmann hofft jetzt, so viele Menschen zu erreichen wie schon lange nicht mehr.

Es ist ruhig geworden um das Mega-Bahnprojekt Stuttgart 21, außerhalb der Stadt spricht man kaum noch drüber. Dabei war 2010 doch ihr Jahr: Zu den Demos gegen den Tiefbahnhof kamen regelmäßig Zehntausende, zweimal sogar Hunderttausend. „Wutbürger“, wie man die Demonstranten nannte, wurde 2010 zum Wort des Jahres gewählt. Zweiter Platz damals: „Stuttgart 21“.

Die Kirchentagsbesucher, die gerade aus den Zügen quellen, gehen an von Herrmann vorbei. Einige nehmen seine Flyer. Bahnhof? Eine Frau bleibt stehen und liest. Dann lacht sie. „Ach, die Bahnhofsgegner! Stimmt, die gibt es ja auch noch!“

Von Herrmann braucht eine Pause, es gibt Apfelschorle im Bahnhofscafé. „So habe ich mir das damals nicht vorgestellt“, sagt er. Als der Evangelische Kirchentag 2011 ankündigte, nach Stuttgart zu kommen, klang das verheißungsvoll: Durch den Protest um S21 habe man „neue Formen offener und öffentlicher Debatte erlebt“, hieß es aus dem Kirchentagspräsidium. Daher habe man „die Einladung nach Stuttgart besonders gern angenommen“. Doch im offiziellen Kirchentagsprogramm spielt S21 keine Rolle mehr: Nur eine von 2.500 Veranstaltungen bezieht sich auf das Projekt.

Ob es vielleicht daran liegt, dass das Ding längst durch ist? Die Buddelei hat längst begonnen. „Quatsch“, sagt von Herrmann und knallt die Apfelschorleflasche auf den Cafétisch. „Es ist noch nix g’schwätzt!“ Stadt, Land und Bund könnten immer noch aus dem Projekt aussteigen, angesichts der Explosion der Baukosten von 2 auf vermutlich nun 11 Milliarden Euro sei das allemal gerechtfertigt.

Am nächsten Morgen wollen zwei Mitstreiter Herrmanns den Kirchentagsbesuchern die Bahnhofsbaustelle zeigen. Dreißig Menschen versammeln sich, fast alle S-21-Gegner von früher. Von den Kirchentagsbesuchern kommen lediglich sechs oder sieben.

Anders als zu Margot Käßmann, die zeitgleich 12.000 Menschen in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle versammelt. Sie spricht über Investmentbanking und Ex-Porsche-Patriarch Ferdinand Piëch. Sie warnt vor Maßlosigkeit. Stuttgart 21 erwähnt sie nicht.

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