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Am Mittwoch, kurz nach 20 Uhr, versperrt ein mittelalterlicher Hochzeitstanz den Weg zum Schlossplatz. Auf der Bühne versucht eine Christenrockband die Menge zum Tanzen zu animieren – vergeblich, noch.

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Vor dem „Haus der Katholischen Kirche“ demonstriert ein Mann gegen das Zusammenspiel von Kirche und Militär. Daneben verteilt ein anderer seine selbstverfassten Reformationsthesen. Vorbeilaufende Kirchentagsbesucher winken angewidert ab.

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Auf einem Wagen ist die Pappmascheefigur eines gebieterischen strengen Gottes aufgebaut, der das 11. Gebot verkündet. „Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen“, kann man auf der stilisierten Steintafel lesen. Der junge Mann, der neben der Figur steht, erklärt, worum es ihm geht: Er will auf die Verflechtung von Staat und Kirche aufmerksam machen. Als eine Frau sagt: „Aber das ist unsere Geschichte“, entgegnet er: „Das Schöne an Geschichte ist ja, dass sie vergangen ist.“ Andere kommentieren seine Aktion mit „Pfui“.

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„Möchten Sie eine Kerze?“ Jugendliche verteilen weiße, dünne Kerzen für das zum Abendgottesdienst geplante Kerzenmeer. „KER10“ hat ein Junge auf ein Schild geschrieben. „Wer klug isch, versteht des“ sagt eine Frau. Eben: „Damit wir klug werden“

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Und 22 Uhr ertönt der Klang des Südens. „Mir spielet jetzt ein Potpourri aus’m Ländle“, sagt die Leiterin. Ein riesiger Chor mit Orchester singt ein Medley aus traditionellen schwäbischen und christlichen Liedern. 250.000 Menschen sollen sich dazu versammelt haben. Das Publikum ist entweder höchstens 17 Jahre alt oder über 40. Morgens halb 9 diskutieren gut gelaunte 15-Jährige, ob die roten Kirchentagsschals, die sie alle um den Kopf gebunden haben, wohl aus Bangladesch kommen. Ihr Fazit: Kann nicht sein, weil hier alles ja fair trade sein muss. Ein Mädchen putzt sich ihre Brille mit dem Schal. Sie meint, dass sie dafür sehr gut geeignet seien.

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Die U 11 Richtung Schleyer-Halle ist 8 Uhr morgens voll. Zwei Frauen unterhalten sich. Laut. „Gehschd du auch zur Käschmann?“ „Nee, zu den Wise Guys. Die Käschmann is ma zu anstrengend. Die fordert immer so viel von dr. Dabei mach ich doch scho so viel“.

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Auf verlorenem Posten: Die Zeugen Jehovas. Stehen jeweils zu dritt an allen Ecken und Enden des Geländes, vor sich die Wachttürme aufgebaut. Sie sehen unglücklich aus, bleiben meist alleine. Niemand hält an, doch sie halten durch. Seit Stunden schon.

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Erster Stargast auf dem Roten Sofa, der Open Air Bühne der evangelischen Zeitungen: Finanzminister Wolfgang Schäuble. „Ich fühle mich zu Hause hier als evangelischer Christ.“ Die Zuhörer sitzen auf Bierbänken, strecken Schäuble ihre Smartphones entgegen. „Richtig geborgen bin ich in meiner Heimatgemeinde. Da bin ich einfach der Wolfgang Schäuble, nicht der Bundesfinanzminister.“ Kommt gut an. Muss er getröstet werden von seinem Pfarrer, wenn in Griechenland wieder alles schiefgeht? „Nein, damit muss ich die Kirche und meine Gemeinde nicht belasten.“ Man muss ja niemanden verschrecken hier. Ist doch so schönes Wetter in Stuttgart.

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Gauck in Hochform. Ein Fest war es, was Bundespräsident Joachim Gauck und der Jenaer Soziologieprofessor Hartmut Rosa dem Kirchentagspublikum boten. Thema: „Gutes Leben. Kluges Leben“. Die Kontroverse: Während Rosa die zentralen Stichworte linker, auch christlich inspirierter Kulturkritik entfaltet, kontert der gelernte Pfarrer mit der größtdenkbaren Gelassenheit. „Lieber Herr Professor …“, sagt Gauck. Er lobt „Bruder Rosa“ für seine Empfindsamkeit in der Zeitdiagnose, gibt ihm aber tüchtig Kontra. Sagt, dass es nichts nützt, das Heute so zu analysieren, als gäbe es keine „Resonanzräume“, in denen politische Besserungen möglich gemacht werden.

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Plötzlich wird der Bundespräsident gar aktualpolitisch. Die „Ehe für alle“, das Thema der Zeit. Ja, Gauck darf und will sich nicht in die konkrete Politik einmischen, sagt er. Aber: „Ich bin für all das, was Menschen befreit und von Entfremdung löst“.

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