STAATSMÄNNISCHER WEIN, STAATSMÄNNISCHER KONZERTBESUCH, AVANTGARDE MIT KUCHEN, SOFTPORNOMUSIK UND JEDE MENGE ABRAHAMITISCHES: Herr Gauck winkt vom ersten Rang
TIM CASPAR BOEHME
Mit Josef Stalin möchte man sich eigentlich nicht gemein machen. Es sei denn, man heißt Slavoj Zizek oder vielleicht Wladimir Putin. Am Freitag gab es für mich aber zum ersten Mal Gelegenheit, ein wenig von Stalins kulinarischen Vorlieben kennenzulernen: In dem georgischen Restaurant, in dem ich zum Essen verabredet war, gab es einen Rotwein und sogar ein Mineralwasser, die beide zu den bevorzugten Sorten des Diktators gehört haben sollen. Schmeckten ziemlich süffig, besonders bemerkenswert war jedoch das Essen, mit Aubergine in allerlei Variationen und vorbildlich zubereitetem Lamm. Die Bedienung zeigte sich beim Bestellen freundlich-bestimmend, diktatorisch wurde sie allein in der Frage, ob man zum Wein auch schlichtes Leitungswasser bekommen könne. Aber so sind halt die für Deutschland typischen Gastronomietugenden.
Beherrschendes Thema für Sonnabend waren Abraham und die Folgen. Einmal als sehr poetische Ausdeutung von Abrahams Opfer im Jüdischen Museum, und dann als sehr kleinteilige Spurensuche im Bode-Museum, wo man „Abrahams Erben am Nil“ in Augenschein nehmen konnte. Genauer gesagt, wie die drei dort ansässigen großen monotheistischen Religionen im Alltag gewirkt haben. Besonders schön die Vitrine zu Aberglauben und sonstigem frevelhaftem Zeugs, das sich trotz mangelnder Gottgefälligkeit unter den Leuten erhalten hatte: ein goldenes Amulett etwa, in dem man Zettel mit Zaubersprüchen verwahren konnte. Der anschließende Apfelkuchen in der Sonne war auch nicht zu verachten.
Sonntagmorgens ging es dann – nein, nicht in die Kirche, aber so ähnlich. Im Schiller Theater war hoher Besuch zu Gast, auf der Bühne der Pianist András Schiff, im Publikum der Bundespräsident. Als dieser dann offiziell zusammen mit „Frau Schadt“ willkommen geheißen wurde, flüsterte eine ältere Frau neben mir aufgeregt: „Ach Gott, müssen wir jetzt aufstehen?“ Gauck grüßte kurz in jovialer Regentenmanier vom ersten Rang, dann begann das Konzert.
András Schiff stellte erst einmal sein Programm vor, die „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach, und erläuterte ganz praktische Details wie die Technik des Armekreuzens beim Spielen. Bach habe sich den Trick bei Domenico Scarlatti abgeschaut, der die Technik sehr viel verwendete. In späten Jahren habe Scarlatti allerdings so großes Vergnügen am Essen entwickelt, dass ihm sein Bauch irgendwann im Weg war, wenn er einmal wieder die Hände beim Spiel übereinanderlaufen lassen wollte.
Verdienstorden im Bus
Schiff selbst spielte die Variationen, ohne bauchbedingt in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden, mit großen poetischen Momenten, singenden Einzelstimmen – und manchen spektakulären Ausfällen. Beim Hinausgehen wartete vor dem Eingang ein Reisebus, in den ältere Damen und Herren einstiegen, an der Windschutzscheibe ein Schild „Orden Pour le Mérite“. Gauck war anscheinend nicht der einzige prominente Besucher im Saal gewesen.
Um bei der monothematischen Tagesgestaltung zu bleiben, folgte am Nachmittag dann das nächste „Lecture Recital“, diesmal ohne Staatsoberhaupt, dafür mit dem britischen Pianisten John Tilbury, der sich um die Musik des 20. Jahrhunderts so viele Verdienste erworben hat, dass man ihm dafür ruhig auch einen Orden verleihen könnte. Tilbury spielte kleinere Stücke von Morton Feldman, Alexander Scriabin und Dieter Schnebel, „soft porn music“, wie er die bei geringster Lautstärke knisternden Stücke nannte. Er selbst hatte ein Stück mit Zitaten aus Sherlock-Holmes-Verfilmungen mitgebracht, passenderweise ging es um mörderische Musik. Zum Ausklang gab es Kuchen, ein paar Gespräche, und damit war das Ausgehprogramm für das Wochenende beendet. Vom abendlichen „Tatort“ muss man wohl nicht eigens berichten.
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