piwik no script img

In den Köpfen des Mörders

VERBRECHEN Nach der viel beachteten „Schuld“-Inszenierung im Malersaal bringt Karin Henkel nun Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“ auf die große Schauspielhaus-Bühne – und fragmentiert den Täter

VON KATRIN ULLMANN

Frank Castorf kommt von diesem Autor offenbar gar nicht mehr los. Ein halbes Dutzend Mal hat der Volksbühnenchef die Werke des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski schon für die Bühne inszeniert. Ob Karin Henkel es ihm nachtut? Ob sie ebenfalls dem Dostojewski-Sog erliegt? Am Deutschen Schauspielhaus bringt sie am heutigen Samstag „Schuld und Sühne“ auf die Bühne. Nach der fantasiereichen und viel beachteten Malersaal-Aufführung „Schuld“ im Februar 2014, deren starke Reduzierung damals einem Bühnenunfall geschuldet war, nun also den ganzen Roman. Oder genauer: eine gekürzte Bühnenfassung.

„Schuld und Sühne“, Dostojewskis erster großer Roman erschien 1866. Darin wird die Geschichte von Raskolnikow erzählt: Der bitterarme Jurastudent, dem es weder an Begabung noch Selbstbewusstein mangelt, und der sich selbst gern mit Napoleon vergleicht, hält sich für gewissenlos – und wird doch bald von seinem eigenen Gewissen eingeholt. Zunächst aber plant er den perfekten Mord, vielmehr den „erlaubten Mord“. Ein Gedanke, der seine Überzeugung „von den ,außergewöhnlichen‘ Menschen, die im Sinne des allgemein-menschlichen Fortschritts natürliche Vorrechte genießen“ stützt.

Die habgierige alte Pfandleiherin soll sein Opfer werden. Sein Motiv? Sie ist für ihn der Inbegriff einer „Laus“, einer absolut minderwertigen Person, über deren Leben die wirklich großen, die „außergewöhnlichen“ Menschen, wie Raskolnikow selbst einer zu sein meint, hinweggehen dürfen. Also geht er zu ihr, erschlägt sie mit einem Beil und ihre unvermittelt auftauchende Schwester gleich noch mit.

Nach der Tat fällt er in ein fiebriges Delirum, findet keine Ruhe und ist plötzlich gar nicht mehr der Mensch ohne Gewissen, der er zu sein glaubte. „Im ersten Augenblicke glaubte er, er würde wahnsinnig werden“, heißt es bei Dostojewski. „Ein furchtbarer Frost überfiel ihn; aber dieser Frost kam von dem Fieber her, das sich schon längst während des Schlafes in seinem Körper entwickelt hatte. Jetzt packte ihn ein solcher Kälteschauer, daß ihm die Zähne klapperten und ihm alle Glieder steif wurden.“

Als Raskolnikow es nicht mehr aushält, als er den „Alptraum in seinem Kopf“ – wie Schauspielhaus-Dramaturg Christian Tschirner es beschreibt – nicht mehr erträgt, gesteht er schließlich seine Tat, kommt in ein sibirisches Arbeitslager und kehrt acht Jahre später als geläuterter Mann zurück.

„Von der Fragestellung, die dieser Roman aufwirft, kommt man so einfach nicht los“, sagt Tschirner und begründet damit, warum dieser Roman auf die Bühne gehöre: „Die Hauptfigur stellt sich gegen ein überkommenes Wertesystem, stellt dieses infrage, begeht einen Mord, der seine Begründung hat, aber zerbricht daran, weil sie von ihrem eigenen Gewissen eingeholt wird.“ Es gehe in dem Roman mehr um die Frage der Schuld als um die des Verbrechens, fährt Tschirner fort: „Ist man schuldig, wenn man sein Schicksal duldet, oder ist man schuldig, wenn man sich daraus zu befreien versucht?“

Der Fokus der Bühnenadaption, die er gemeinsam mit Karin Henkel erarbeitet hat, liegt auf dem „Drama im Kopf des Täters“: Die Regisseurin veranschaulicht dies mittels sechs Raskolnikow-Darstellern. So schafft sie sich die Möglichkeit, eine Innenschau in die grüblerischen Gedanken, in das fiebrige Zittern, in die gesamte fragile Seelenwelt des Protagonisten herzustellen. Immer wieder können die Darsteller als multipler Raskolnikow auf der Bühne miteinander in Konflikt geraten, können tatsächlich streiten, argumentieren und einander widersprechen.

„Der eigentliche Reiz des Romans“, so Tschirner, „besteht ja in dem Wahnsinn, der in Raskolnikows Kopf stattfindet. Kann er – und können die Leser und Zuschauer – überhaupt noch zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden?“ Den Haupt-Raskolnikow wird nun Jan-Peter Kampwith spielen, bei Karin Henkel war er zuletzt als Sohn Erhart in Henrik Ibsens „John Gabriel Borkman“ zu sehen. Diese atmosphärisch dichte und monströs schrille Inszenierung war dieses Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen – nicht die erste Arbeit, mit der Henkel diese Ehre zuteil wurde. „Das Publikum zu berühren, ist für mich immer das höchste Ziel“, beschreibt die Regisseurin ihren Anspruch. Ob ihr das mit Dostojewskis „Schuld und Sühne“ erneut gelingt, wird sich zeigen. Die Chancen stehen gar nicht schlecht.

■ Premiere: Sa, 30. Mai, 19 Uhr, Schauspielhaus. Weitere Vorstellungen: 2., 6., 10. + 30. Juni

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen