JOGGINGHOSEN-AVANTGARDE: Real German Kaffee
Es ist nicht einfach, in einem überlaufenen Kiez wie Neukölln einen Ort für sich zu finden. B. und ich sind seit einer halben Stunde unterwegs. Café Rix: wegen eines Events geschlossen. Das türkische Café am Woolworth: wegen der wachsenden Dauerbaustelle auf der Karl-Marx-Straße unbenutzbar. Also Richardplatz. Fachwerkhäuser, ein Büdchen, jemand schnarcht auf einer Bank. Hier ticken die Uhren noch anders, also literally: Es ist 10.45 Uhr und die Villa Rixdorf hat noch geschlossen. Genauso wie das Café am südlichen Ende.
Wir gehörten zur Avantgarde und sind nur noch zwei unter vielen. Ununterscheidbar selbst in unseren Jogginghosen – die von B. à la Penner, meine eher legere SS-Reiterhose. Mein Zwickel hängt so tief, dass ich nicht mal aufs Rad käme. Wir finden schließlich etwas, was zu unserem Aufzug passt: das „Hangover“. Da sitzt die Belegschaft in Schlappen und löffelt Eier. Wir bestellen zwei Kaffee. B. ist ganz aufgeregt. „Do they serve real German Kaffee?“, fragt er mit bebender Stimme. Vermutlich meint er dieses lauwarme Zeug, von dem wir Deutschen schlechte Laune und chronische Gastritis bekommen. „Mit Kaffeesahne“, sage ich. B.s Augen leuchten. „Ürks“, schiebe ich wie bei einem kleinen Kind hinterher.
Die Frau balanciert den Kaffee, auf der Untertasse: Kaffeesahne. Als sie mir die reicht, bekommt sie einen Hustenanfall, der noch lange andauert. Bald wollen wir wieder gehen. Wortreich entschuldigt sich die Frau. „Das war ekelhaft!“, erklärt sie mir im Brustton der Überzeugung. Bis dahin hatte ich das nicht so gesehen. Aber jetzt. Ich verziehe ein bisschen den Mund und schaue auf die Tischdecke. B. beobachtet mich aufmerksam – später wird er behaupten, das sei Kalkül gewesen. „Ein Kaffee gratis“, sagt die Frau. B. legt zwei Euro auf den Tisch und strahlt. „Stimmt so!“, sagt er in tadellosem Deutsch. SONJA VOGEL
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