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Das schwärzeste Schwarz aller Zeiten

DÜSTERMUSIK Kiran Sande betreibt in Berlin Blackest Ever Black, ein Plattenlabel für postmoderne Elektronik

Sande erzählt, wie London und Berlin vor ein paar Jahren eine fruchtbare Achse des Dubstep bildeten

VON ANDREAS HARTMANN

Blackest Ever Black hat der Londoner Kiran Sande, der bereits seit zwei Jahren in Berlin lebt, sein Label genannt, also, ungefähr: Das schwärzeste Schwarz aller Zeiten. Setzt man diesen Namen in Bezug zu so manchen Veröffentlichungen des Labels, kommt der leise Verdacht auf, dass er durchaus programmatisch gemeint sein könnte. Noise und Industrial, also weitestgehend destruktive Düstermusik, steht für nicht wenige Platten des Labels Pate.

Doch wenn man dann den Labelmacher trifft, der sich in einem kleinen Büro in den Räumlichkeiten der Neuköllner Spielstätte NK eingemietet hat, stellt der recht schnell klar, dass die Idee, das eigene Label Blackest Ever Black zu nennen, eher etwas mit englischem Humor und Hang zur Ironie zu tun hat. Er wollte einfach den „denkbar rock’n’rolligsten Namen“ für sein Label, sagt er, und bei dieser Suche hat er sich von einer Komödie inspirieren lassen. In der berühmten Pseudodokumentation „Spinal Tap“ über eine Hardrockband gleichen Namens wird deren Gitarrist Nigel Tufnel irgendwann mit dem geplanten Entwurf für das Cover des neuen Albums konfrontiert. Die Idee ist: reines Schwarz. Tufnel ist beeindruckt und sagt den unvergessenen Satz: „Es sieht so aus, dass man sich automatisch fragt: Ist ein schwärzeres Schwarz möglich? Und die Antwort ist: Nein. Schwärzer geht es einfach nicht.“ Der debile Fake-Rocker Nigel Tufnel steht so als Namensgeber Pate für eines der derzeit produktivsten und interessantesten Labels weltweit für elektronische Musik irgendwo zwischen Club und Avantgarde.

Blackest Ever Black gibt es noch gar nicht so lange. Vor fünf Jahren hat der inzwischen 31-jährige Sande das Label in London gegründet. Ihn, der sich selbst als „Techno-Kid“ bezeichnet, habe Dancemusik zu dieser Zeit massiv gelangweilt, erzählt er. Auch Dubstep, diese faszinierend abstrakte Bassmusik, die ihn eine Weile so begeistert hatte, begann damals schon wieder zu stagnieren. Ein eigenes Label sollte eine Reaktion auf diese gefühlte Clubmusikkrise sein. Ein Label mit einer „Alles geht“-Philosophie, das Postpunk, Industrial, Dubstep und Techno miteinander verbindet, um so am Ende vielleicht sogar bei irgendetwas Neuem zu landen.

So wie das etwa Raime hinbekommen, der erste Act, der auf Blackest Ever Black veröffentlicht hat und der bis heute eine Art Aushängeschild der kleinen Plattenfirma ist. Raime klingen kalt, düster, schielen mit einem Auge Richtung Dancefloor und blicken mit dem anderen geradeaus zur elektronischen Avantgarde. Das ist superpostmoderne Elektronik mit Bezügen zu allerlei Subsubsubgenres der elektronischen Musik, und genau so liebt es Kiran Sande.

Die Unübersichtlichkeit seines Labelkatalogs ergibt sich auch daraus, dass er ganz der smarte Auskennertyp ist, der pausenlos von Filmen, Büchern, Philosophie und Musik in alle Richtungen parlieren kann und dementsprechend ohne Scheuklappen sein Label führt. So kommt es wohl, dass auf diesem Platten von kompromisslosen Technoacts wie Regis genauso erscheinen wie Postindustrial von Lustmord, die Technoexperimente der Hamburgerin Helena Hauff ebenso wie der peitschende Noise von Prurient –und man dennoch das Gefühl hat, es hier mit einer absolut durchdachten und schlüssigen Labelphilosophie zu tun zu haben.

Sande schmeißt seinen Laden ganz allein, und das muss jede Menge Arbeit bedeuten, schließlich veröffentlicht er pausenlos neue Platten. Meist auf Vinyl, aber auch mal nur auf CD oder sogar ausschließlich als Kassette. „Ich gehöre noch zu einer Generation, die mit all diesen Formaten aufgewachsen ist. Die die Kassette noch mitbekommen hat. Und auch wenn sie langsam verschwindet: Ich liebe die CD“, sagt Sande. Jetzt, in einem Moment, in dem selbst die Kassette ein kleines Comeback erlebt, wirkt sein spielerischer Umgang mit den unterschiedlichen Tonträgerformaten zeitgemäß.

In seiner London-Zeit lief die Labelarbeit für Sande eher nebenher. Hauptsächlich war er da Redakteur beim gut informierten Musikmagazin Fact. Dass er ein musikjournalistisch versierter Bescheidwisser ist, das merkt man ihm bereits nach fünf Minuten Unterhaltung an. Ohne Pause kann er in seinem London-Englisch davon erzählen, wie ihn einst Drum & Bass total gekickt hat, wie London und Berlin vor ein paar Jahren eine fruchtbare Achse des Dubstep bildeten und welche Kleinstlabels, von denen man selbst noch nie gehört hat, er gerade spannend findet.

Blackest Ever Black ähnelt programmatisch einem anderen Londoner Label im Berlin-Exil, nämlich Pan, das ebenfalls Verbindungslinien zwischen Noise und Clubmusik zieht. Aber anders als Pan-Betreiber Bill Kouligas ist Kiran Sande nicht aus den üblichen Gründen nach Berlin gekommen, nämlich den vergleichsweise günstigen Mieten, sondern weil seine Freundin einen Job an der hiesigen Uni angenommen hat. „Vorher dachte ich, woanders als in London zu leben ist unmöglich“, sagt Sande und man hört eine gewisse Sehnsucht nach der englischen Hauptstadt in seinen Worten.

Während Kouligas davon spricht, dass Berlins allgegenwärtiger Techno ihn und sein Label sehr geprägt habe, scheint das bei Kiran Sande anders zu laufen. „Ich bin sogar hergekommen“, sagt er, „um der Clubkultur zu entgehen.“

In Berlins Clubs herrscht das Diktat des Minimal. Kiran Sande würde sich da sowieso nur schrecklich langweilen.

■ Aktuell auf Blackest Ever Black – Exploring Jezebel: „On a Business Trip to London“; Shampoo Boy: „Crack“

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