: Die Flucht endet auf dem Rasen
INTEGRATION Wer als Flüchtling Fußball in einem Verein spielen möchte, muss viele bürokratische Hürden überwinden. Beim Kreuzberger FSV Hansa 07 darf jeder trainieren
■ Champions ohne Grenzen e. V. wurde im April 2012 in Kreuzberg gegründet.
■ Der Verein mit Fußballangeboten für Männer, Frauen und Kinder ist das Ergebnis eines Zusammenschlusses junger sportaffiner Menschen aus den Berufsbereichen Sozialpädagogik, Sozialarbeit, Kultur- und Sozialwissenschaften, die gemeinsam gegen die soziale Ausgrenzung von Flüchtlingen in Berlin und Brandenburg vorgehen wollen.
■ Als vorrangiges Ziel gibt der Verein an, den Asylsuchenden in Flüchtlingsunterkünften neue Perspektiven zu vermitteln und gleichzeitig Aufmerksamkeit für deren schwierige Lebenssituation zu schaffen. Weitere Informationen unter: www.championsohnegrenzen.de
VON LISA ARNTZEN UND DAVID JORAM
Iman Kashan ist in seinem Element. Auf dem Kunstrasenplatz des Kreuzberger Fußballvereins FSV Hansa 07 spielt er sich den Frust von der Seele. Kürzlich ist ein Familienmitglied des Iraners verstorben, und Kashan, der 2012 aus seiner Heimat nach Berlin geflüchtet ist, kann ihm nicht die letzte Ehre erweisen. Unüberwindbare bürokratische Hürden verhindern die Reise. Doch selbst wenn sie nicht wären, stünde er bei der Rückkehr vor einem viel größeren Problem. Mit monotoner Stimme sagt Kashan: „Mein Vater würde mich töten.“
Deshalb hat der 29-Jährige vor drei Jahren den Iran verlassen – unfreiwillig. Er war dort sehr zufrieden mit seinem Leben, studierte Psychologie, führte eine glückliche Beziehung und verdiente einen Teil seines Geldes als Torhüter bei iranischen Profivereinen. In der U-21-Nachwuchsmannschaft erlebte er vor 10.000 Zuschauern ein Teheraner Stadtderby mit. Ein Höhepunkt im früheren Leben von Iman Kashan. Lang ist’s her. Seither sind die glücklichen Momente rar geworden, was letztlich darauf zurückzuführen ist, dass Kashan die Religion wechselte. Der Muslim wollte Christ sein. Kashans Vater aber, streng gläubig und beim iranischen Geheimdienst beschäftigt, hat zum Christsein eine sehr radikale Ansicht. Er drohte, seinen eigenen Sohn zu töten, sollte dieser seine Entscheidung nicht revidieren. Das hat Iman Kashan nicht getan.
Er flüchtete und kam nach Berlin. In Neukölln hat er sich mittlerweile taufen lassen. „Die ersten sechs bis acht Monate sind sehr hart“, sagt Kashan rückblickend, man fängt ja bei null an.“ Er hält kurz inne und korrigiert sich: „Als Asylbewerber fängt man unter null an.“ Eine schwierig Zeit, zumal der Bruch mit dem Vater Kashan stark belastete. „Ich fühlte mich sehr leer, schließlich hatte ich alles verloren“, so Kashan. Geblieben ist ihm die Liebe zum Sport: „Ich bin verrückt nach Fußball. Egal ob es regnet oder schneit: Ich will immer trainieren!“
Viele Flüchtlinge wollen das: Spaß haben, dem Hobby nachgehen, mit Menschen in Kontakt kommen – und darüber bestenfalls die fremde Sprache lernen. Der Fußball bietet dazu alle Möglichkeiten, nur das Ausschöpfen fällt derzeit noch schwer. Die Gründe sind vielfältig, beginnend bei diversen DFB-Statuten. Um am geregelten Ligabetrieb teilzunehmen, muss ein offizieller Spielerpass beantragt werden. Und das kann dauern. Zunächst wird ein „internationaler Freigabeschein“ aus dem Herkunftsland benötigt, um sicherzustellen, dass weltweit nur eine Spielberechtigung existiert – so das internationale Regelwerk der Fifa. Der Freigabeschein wird mit dem Antrag auf Spielberechtigung über einen deutschen Landesverband beantragt und vom jeweiligen Nationalverband des Herkunftslands – in Kashans Fall wäre das die Football Federation Islamic Republic of Iran gewesen – ausgestellt. Doch in aller Regel passiert dies nicht, so dass die Spieler 30 Tage warten müssen, bis sie quasi „freigegeben sind“. Hinzu gilt es, weitere Dokumente wie die Aufenthaltsgenehmigung und Meldebescheinigung zu besorgen. Bis sie spielen dürfen, müssen die Flüchtlinge erfahrungsgemäß mindestens drei Monate warten.
Viele Amateurvereine schrecken vor dem hochbürokratisierten Prozedere zurück. Auch, weil ihnen häufig ein Sachbearbeiter fehlt, der sich mit den Regeln auskennt. Und so werden viele Anfragen der Flüchtlinge kurzerhand abgewiesen. Iman Kashan indes hatte Glück. Über seinen Heimsozialarbeiter Arne Sprengel fand er den Weg zum FSV Hansa 07, der einen anderen Weg geht als die meisten Klubs. Sprengel beschreibt das Denkmuster vieler Vereinssportler so: „Wenn die das Wort Asylbewerber hören, beginnen die Schwierigkeiten. Asylbewerber sind grundsätzlich erst mal verdächtig, man sieht nur noch die Probleme, die sie verursachen könnten, und am Ende steht die Frage, was jemand nützt, der womöglich sowieso nicht spielen darf.“ Mit „verdächtig“ meint Sprengel die bestehenden Vorurteile bei einigen Vereinsmitgliedern, Asylbewerber seien Kriminelle.
Training für jeden
TRAINER UND FLÜCHTLING IMAN KASHAN
Bei Hansa 07 denkt man anders. In Zusammenarbeit mit dem Projekt „Champions ohne Grenzen“ (CHoG) setzte man ein formloses Mittwochstraining für Erwachsene an. Wer kommen will, kann kommen: CHoG stellt die gut ausgebildeten TrainerInnen, der Verein den Platz. „Das Projekt ist nicht perfekt, aber es geht in die richtige Richtung“, sagt Hansa-07-Vereinsmanagerin Alice Drouin. So wünscht sie sich noch längere Trainingsplatzzeiten, mehr Equipment und weitere ehrenamtliche Helfer für den Kreuzberger Fußballverein.
Nahezu identisch verläuft die Kooperation zwischen CHoG und dem FC Internationale, nur eben im unteren Nachwuchsbereich. Mia Wyszynski, die CHoG-Trainerin der Flüchtlingskinder, erklärt: „Wir sind auf Inter zugegangen, weil wir wussten, dass der Verein sehr tolerant ist. Und das hat sich dann auch bestätigt, Inter hat das Projekt gleich begeistert unterstützt.“ Wyszynskis gleichberechtigter Trainerpartner heißt übrigens Iman Kashan. „Es ist eine große Sache für mich“, sagt der Iraner, den Wyszynski über Hansa 07 kennengelernt hat. Zusammen bilden sie ein modernes Fußballtandem: eine Frau und ein Mann, eine Muttersprachlerin und ein Flüchtling. „Wir wollen den Kindern beibringen, dass Respekt, Bildung und Sport sehr wichtig sind“, sagt Kashan.
Darum geht es auch in der Fußballakademie von Hertha BSC, an der das Team von Wyszynski und Kashan in den Osterferien teilnehmen durfte. Beim Berliner Bundesligisten hat man signalisiert, für weitere Aktion bereit zu sein. Beim letzten Spiel gegen Köln verschenkte der Klub beispielsweise 75 Freikarten an Berliner Flüchtlinge. Wyszynski begrüßt dieses Engagement ausdrücklich, denn gerade die großen Vereine sollten sich ihrer Meinung nach viel mehr öffnen als bisher. „Dort stimmen die Strukturen, und die Ressourcen sind da“, so Wyszynski. Auch wenn auf vielen sozialen Ebenen bereits gute Arbeit geleistet würde, so die CHoG-Trainerin weiter, sei das Thema Flüchtlinge noch nicht ausreichend in den Köpfen der Funktionäre angekommen.
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