: Wütender Noiserock mit Cola-Rum
HAMBURG Der Laden Hanseplatte am Rande des Karoviertels wurde als Verkaufstresen für die lokale Musikszene gegründet. Inzwischen gibt es dort auch Jutebeutel und maritime Pullover
Lokalpatriotismus ist zweischneidig. Einerseits ist er vergleichsweise harmlos, nur die regionale Schrumpfversion nationaler Heimatverbundenheit. Allerdings geht er allzu oft Hand in Hand mit pathetischer Vaterlandsliebe und wirkt ähnlich triebgesteuert. Kurzum: Auch Lokalpatriotismus riecht ein bisschen streng. Nach Chauvinismus. Nach Ausgrenzung. „Nach der Marke Hamburg“, ergänzt Jakob Groothoff und scheint tatsächlich leicht die Nase zu rümpfen, als er den Slogan hochglänzender Standortaufwertung ausspricht.
Wobei – eigentlich ist auch das Naserümpfen leicht zweischneidig. Sein eigener Laden lebt schließlich vom Standort, ob aufgewertet oder nicht. Er heißt „Hanseplatte“ und handelt am Rande des Karoviertels mit nichts weniger als – genau: Lokalkolorit. Nur sieht der Geschäftsführer das Konzept etwas differenzierter, als es der dumpfe Begriff vom Patriotismus suggeriert. Die Musikhandlung für ortsansässiges Liedgut verkauft auf dem früheren Schlachthofgelände nämlich keine gebürtigen Hamburger mit deutschem Pass und Bekenntnis zur Hansestadt, sondern allenfalls regional verwurzelte Künstler, wo immer sie herstammen. Auf doppelter Größe eines erstaunlich aufgeräumten Wohnzimmers stehen demnach alte Hasen der Hamburger Schule Regal an Regal mit Elektronewcomern und nordischem HipHop. Benachbarte Indie-Labels von Audiolith bis Zickzack haben ebenso ihre Fächer wie Shanties, Experimentelles oder Jan Delay.
„Es gab hier sogar mal ’ne Scooter-CD“, sagt Groothoff hinterm dezent chaotischen Verkaufstresen – allerdings nicht bei ihm, sondern bei seinen Vorgängern Gereon Krug und Andrea Rothaug, die den Laden 2006 zur „Vertiefung, nicht Abgrenzung“ der hiesigen Szene gründeten. Die beiden dachten damals, Hamburgs Klanglandschaft sei groß genug für eine eigene Sparte und präsentierten sie fortan in der Hanseplatte: eine Art ständiger Vertretung des diffusen Sounds made in Hamburg, die als Starthilfe, Katalysator, Schubkraftverstärker fungiert, am hippen Tourismus-Hotspot aber auch handelsübliche Devotionalien führt. Natürlich.
So gibt es zwischen Plakaten des nächsten Live-Gigs oder Büchern von Rocko Schamoni auch Flaschenöffner in Rettungsringform, Pullover in maritimem Streifenlook, Mitbringselzeugs eben. Vieles davon, beruhigt Jakob Groothoff, selbst vor 29 Jahren in Barmbek geboren und wie seine fünf Mitarbeiter Musiker, kaufen indes weniger jene, die zum Shoppen durchreisen, „sondern Anwohner, die wegziehenden Freunden was mit auf den Weg geben“. Als kleines Andenken an eine Stadt mit Musikszene, die vielfältig genug für einen eigenen Plattenladen ist.
Dass er längst Teil der Marke Hamburg ist? Geschenkt. Jakob Groothoff wähnt sich ja eher im „Kosmos Hamburg“. Wer dagegen den Markenbegriff plus Hanseplatte googelt, stößt zwar weit oben auf die städtische PR-Seite, doch sie faselt was von „Blumentopf, Heidi Kabel oder Udo Lindenberg“ im Laden. Dass bei einem Label-Abend von Fidel Bastro wütender Noiserock mit Cola-Rum verkostet wird, davon steht da nichts. JAN FREITAG
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