: Exzentrik ist wunderbar
AUSSTELLUNG Eine Schau mit Werken der New Yorker Künstlerin Greer Lankton in Wolfgang Tillmans Projektraum „Beetween Bridges“. In den achtziger und neunziger Jahren war die Transgender eine wichtige Figur der Kunstszene im East Village
Unverkennbar steht da Jackie Kennedy. Noch ist sie nicht Jackie O., eine der Ikonen der New Yorker Kunst- und Clubszene. Ganz in rosarotem Chanel ist sie noch deutlich die Präsidentengattin – und doch eine rechte, echte Puppe. Neben ihr streckt sich Peggy Moffitt aus, ganz in Schwarz, passend zum schweren schwarzen Augen-Make-up, das das Model in den sechziger Jahren so berühmt gemacht hatte. Schade, dass sich nicht noch Diana Vreeland dazugesellt. Die Modemacherin Anna Sui hatte sie in Auftrag gegeben, für das Schaufenster von Barney’s. Mit ihr wäre das Trio der Fashion Dolls perfekt.
Das heißt aber nicht, dass die Ausstellung bei Between Bridges nicht perfekt wäre. Im Gegenteil. „Greer Lankton“ ist die bestimmt aufregendste Schau derzeit in Berlin. Denn Greer Lankton und die von ihr geschaffenen skulpturalen Miniaturporträts von Jackie, Peggy und Diane Vreeland und vielen anderen realen und erfundenen Gestalten sind eine echte Entdeckung.
Recht besehen, eine Wiederentdeckung. 1995 hatte Jean Clair die Künstlerin auf die 46. Biennale von Venedig eingeladen, und im Jahr davor nahm sie an der Schau „Real Sex“ des Kunstvereins Salzburg teil, auch in Köln war sie 1984 und 1992 in Galerieausstellungen vertreten gewesen. Trotzdem gerieten sie und ihr Werk zuletzt in Vergessenheit, nicht nur in Europa, sondern auch den USA.
In den Achtzigern und noch zu Beginn der neunziger Jahre war Greer Lankton eine wichtige Figur der Kunstszene des East Village von Manhattan, berühmt für ihre sorgsam angefertigten, biografisch inspirierten Puppen, die ihre Obsession mit ihrem Körper widerspiegelten. Mit dieser Obsession hat es eine besondere Bewandtnis, insofern die Künstlerin 1958 als Greg Robert Lankton in Flint, Michigan, geboren wurde. Schon als Kind begann der Sohn eines presbyterianischen Priesters, Puppen zu basteln. Seinem kreativen Impuls folgend, studierte er am renommierten Art Institute of Chicago und später in New York am Pratt Institute. Zum Abschluss unterzog er sich einer Geschlechtsumwandlung und heiratete, nun Greer Lankton geheißen, mit 21 Jahren Paul Monroe. Sein Vater vollzog die Trauung. Nan Goldin fotografierte sie.
Die Situation wirkte heimelig, wirkte versöhnt, nicht nur nach den Maßstäben der Subkultur. Und dennoch muss die Operation auch traumatisch gewesen sein – so wie sie Greer Lankton in Zeichnungen und an einigen blutig ausgehöhlten Puppen noch einmal durchexerziert. Und obwohl ihr Mann im East Village mit Einsteins, einem Schmuckladen, erfolgreich war – zum Ruhm von dessen Schaufenster die glamourösen Figuren unter Greers fabelhaften Miniaturmenschen entschieden beitrugen – es starben ihr doch zur gleichen Zeit die Freunde, die Sammler, Galeristen, Kritiker und anderen Weggefährten in der großen Aids-Krise der achtziger und neunziger Jahre weg. Da ging eine ganze Welt unter, und in Folge mit ihr auch die dicken Wonneproppen und die spindeldürren Ladys von der Upper wie der Lower Eastside, die Greer gleichermaßen beschäftigten. All die wunderbaren, exzentrischen Schönheiten, wie sie selbst eine war. 1996 starb die Künstlerin an einer Überdosis. Dank Lia Gangitanos kuratorischen Bemühungen, den Beständen des Greer Lankton Archives Museums (G.L.A.M.), Puppen, Fotografien, Zeichnungen, Magazinausdrucke, und Wolfgang Tillmans Engagement bei Between Bridges, seinem 2014 wiedereröffneten Projektraum (er bestand von 2006 bis 2011 zunächst in London), ersteht diese Welt in Ansätzen wieder. Man muss dabei sein.
BRIGITTE WERNEBURG
■ Bis 22. Mai, Between Bridges, Keithstr. 15, Mi–Sa 12–18 Uhr
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