PRESS-SCHLAG: Recht blöd
VERBANDSJUSTIZ Urteile werden immer absurder, Fußballjuristen anmaßender
Als „Shit Country“ hat Zlatan Ibrahimovic jüngst unser Nachbarland Frankreich bezeichnet. Nun muss der schwedische Stürmer von Paris St. Germain für vier Spiele aussetzen: gegen Nizza, Lille, Metz und Nantes, also Vereine aus Städten, die allesamt zum, wie sagt man ungestraft?, Geltungsbereich des französischen Sportrechts gehören. Verurteilt wurde Ibrahimovic von einem Gericht des französischen Fußballverbands.
Für ein auf Facebook gepostetes „Hurensohn“ in Richtung eines Schiedsrichters wurde der Ivorer Serge Aurier, der wie Ibrahimovic auch bei PSG spielt, für drei Uefa-Pflichtspiele gesperrt: „Beleidigungen/Beschimpfungen“ lautet die Uefa-Rubrik.
Jüngst hat die Uefa auch beschlossen, dass die Schlussphase des EM-Qualifikationsspiels der U19-Frauen zwischen England und Norwegen noch einmal ausgetragen werden musste: Beim Stand von 2:1 für Norwegen hatte die Schiedsrichterin einen Fehler gemacht. Nun wurde, beginnend mit einem Elfmeter für Norwegen, 18 Sekunden nachgespielt.
Diese sehr unterschiedlichen Verbandsrechtsfälle der jüngsten Zeit haben eine Gemeinsamkeit: Der Sport, dessen vom Staat gewährte Autonomie immer häufiger infrage gestellt wird, tut selbst alles, um sich mit seinen Hobbyrichtern, die in der Regel verrentete Juristen sind, überflüssig zu machen.
Im Falle des 18-Sekunden-Urteils wird die Tatsachenentscheidung ausgerechnet entlang eines Beispiels abgeschafft, anhand dessen man ihren Sinn erklären könnte: Die Schiedsrichterin hatte zwar einen Fehler begangen, aber dessen juristische Behebung schafft nur noch mehr Nachteile und Ungerechtigkeiten. Also sollte man es dabei belassen.
Was Aurier angeht, kann man ja durchaus der Meinung sein, dass das Wort „Hurensohn“ besser nicht verwendet gehört. Ja, man könnte auch, wenn man denn davon betroffen wäre, juristisch dagegen vorgehen: Der beschimpfte Schiedsrichter etwa hat das Recht, sich mit einem Anwalt zu wehren.
Wer aber juristisch zuständig ist, wenn ein fußballerischer Weltstar wie Ibrahimovic die große französische Republik plötzlich als beschissenes Land bezeichnet, dürfte schwierig sein. Dass Fußballjuristen zuständig sind, überrascht jedenfalls.
Jüngst wurde noch ein anderer Fall publik, bei dem das Sportrecht von staatlichen Richtern schlicht ausgehebelt wurde: Der 1. FC Köln holte sich nämlich eine vom DFB verhängte 30.000-Euro-Strafe von dem Fan zurück, der einen Böller in den Unterrang geworfen hatte. Deswegen hatte der Bundesligist blechen müssen, und er wandte sich an ein staatliches Gericht, das ihm recht gab.
Die Autonomie des Sports und seiner eigenen Verbandsgerichtsbarkeit wird immer mehr ausgehebelt, wenn etwa ein Klub eine gegen ihn verhängte Strafe weitgehend wirkungslos machen kann, indem er sich das Geld woanders besorgt. Das kann man begrüßen oder verdammen, je nachdem, welches Beispiel man sich aussucht: Dass ein Stockschlag im Eishockey anders beurteilt wird als einer in der Fußgängerzone, ist ja nachvollziehbar; aber schon das Kölner Beispiel des Böllerwerfers zeigt, dass spätestens, wenn es um versuchte Körperverletzung geht, der Sport nicht mehr auf seine Eigenwelt pochen sollte.
Ganz besonders bemerkenswert ist aber, dass die Verbandsgerichtsbarkeit, von der man doch erwarten sollte, dass sie sich gegen staatliche Zumutungen behauptet, nur durch besondere Blödheit auffällt: „Scheißsport“ möchte man rufen – und sich schon mal auf die Vorladung durch irgendeinen DFB-Ankläger freuen. MARTIN KRAUSS
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