: Ein Leben ohne Netz
Die Beschädigung von vier Untersee-Internetkabeln hat Teile Indiens und des Nahen Ostens vom Netz getrennt – mit unmittelbaren Folgen auch für Deutschland. Sind wir zu sehr vom Internet abhängig?
VON BEN SCHWAN
Seit einigen Tagen schon macht ein beunruhigendes Gerücht im Internet die Runde: Die USA hätten, heißt es darin, in Vorbereitung auf einen Angriff auf den Iran die Onlineverbindungen in die arabischen Länder des Nahen Ostens gekappt – oder zumindest stark blockiert, sodass sie kaum mehr zu nutzen sind.
Sosehr das nach einer Verschwörungstheorie klingt – vielleicht sind ja auch Terroristen schuld, die die weltweite Online-Freizügigkeit hassen?! – Ein etwas merkwürdiger Zufall ist das alles schon. Tatsächlich gaben innerhalb von zwei Wochen gleich vier bedeutende Unterseekabel im Mittelmeer sowie vor Dubai und Katar ihren Geist auf. In Ländern wie Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten kam es daraufhin zu erheblichen Internetausfällen. Selbst bis nach Indien setzte sich die Problemkette fort – auch eine Leitung, die Europa mit dem Subkontinent verbindet, wurde in Mitleidenschaft gezogen. Insgesamt sollen so allein durch die zwei unterbrochenen Mittelmeerkabel mit den Namen „FLAG“ („Glasfaserkabel um den ganzen Globus“) und „SEA-ME-WE 4“ („Südostasien-Naher Osten-Westeuropa-Kabel 4“) fast 100 Millionen Nutzer großflächig vom Netz abgehängt worden sein – 70 Prozent der Nutzer in Ägypten, 60 Prozent in Indien. Klar ist bislang nur, dass die beiden Kabel trotz anders lautender Berichte nicht von Schiffen (etwa durch Anker) beschädigt wurden, liegen sie laut den ägyptischen Behörden doch in einer Sperrzone, die ständig überwacht wird. Bis das Problem vollständig behoben ist, können jedoch noch Tage, wenn nicht Wochen vergehen. Reparaturfahrzeuge müssen sich erst an die Stelle der Unterbrechung vortasten und dann Taucher losschicken, die die Störung beheben können.
Was auch immer der wirkliche Grund für die Internetstörungen sein mag – der Vorfall macht deutlich, wie abhängig die Menschheit inzwischen von ihrer Telekommunikationsinfrastruktur geworden ist. Ohne billiges Netz auf der ganzen Welt kommt die Globalisierung ins Stocken. So mussten Firmen in der EU, die ihre IT-Infrastruktur nach Indien outgesourct haben, in den letzten Tagen mit eingeschränkter Unterstützung leben. Sonst telefoniert man dank schneller, kostengünstiger Onlineverbindungen inzwischen mit Asien billiger als früher von Hamburg nach Stuttgart. Ist das Netz unterbrochen, geht gar nichts mehr.
Eigentlich ist das Internet grundsätzlich darauf ausgelegt, mit Unterbrechungen und Unwägbarkeiten umzugehen. Schließlich wurde die Technik einst auch auf Auftrag des US-Militärs entwickelt. Das heißt: Ist eine Verbindung gekappt, laufen die Datenpakete eben einmal um den Globus und wählen sich einen anderen Weg, der nicht verbaut ist. Das Problem: Die Infrastruktur kommt eben irgendwann auch in ihrer Redundanz an ihre Grenzen. So ist es billiger, eine Leitung mit erhöhter Bandbreite zu bauen, die sich dann besser füllen lässt, als gleich mehrere Wege, die verschiedene Routen nehmen. Fallen dann mehrere Kabel gleichzeitig aus, stockt der gesamte Netzverkehr.
Auch gibt es im Internet trotz seiner kaum mehr zu überblickenden Größe weiterhin zentrale Knoten. In Deutschland werden beispielsweise große Teile des Datenverkehrs unter den hiesigen Providern in Frankfurt am so genannten DE-CIX ausgetauscht – mit inzwischen bis zu 380 Gigabit pro Sekunde. Allerdings gibt es mindestens sechs verschiedene Standorte in der Stadt, an denen man sich ans DE-CIX anschließen kann. Um die Infrastruktur anzugreifen, müssten etwa Terroristen gleich mehrfach zuschlagen.
In anderen Ländern, in denen die Internetzensur an der Tagesordnung ist, geht das jedoch einfacher. Hier werden zentrale Übergabepunkte zwischen dem Netz eines Landes und dem Rest der Welt vom Staat kontrolliert, um unerwünschte Inhalte herausfiltern und blockieren zu können. An diesen Stellen wird die Infrastruktur wieder extrem angreifbar.
Der Zugriff auf das Internet und dessen 100-prozentige Verfügbarkeit werden in Zukunft noch wichtiger werden. Es dient nicht mehr nur als Informations- und Unterhaltungsmedium, sondern überträgt Daten, die früher über eigene Netze liefen – vom Telefongespräch bis zum TV-Programm. Helfen kann da nur, die Infrastruktur weiter auszubauen.
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