: Grau bleibt grau
Am Mittwoch werden Texte vom Songschreiber, Sänger, Schauspieler, Autor und Punk-Exzentriker Jens Rachut gelesen, gelacht und gebrüllt. Auf Europas erster „Lesung aus einer Schrankwand“
Was „Angeschissen“ Mitte der 80er von anderen Punkbands unterschieden hat, war sicher nicht der Name. Gegründet von zwei ehemaligen „Slime“-Mitgliedern zwei Jahre nach deren erster Auflösung, war man im Gegensatz zur Vorgängerband musikalisch näher an den „Wipers“ als am Deutschpunk. Vor allem aber ging es hier nicht darum, Bullen zu verkloppen und die Yankees rauszuwerfen, sondern um Liebe, Resignation, Selbstmord. Denn getextet und gesungen hat bei „Angeschissen“ Jens „Jensen“ Rachut: skurrile kleine Alltagsbeobachtungen, eher Literatur als Punk-Klischee und Parole. Die Neurosen eines Bullenspitzels, der Einfluss der Architektur auf das Sexualleben, die Rolle des Kochs beim Untergang der Estonia: Jensens Themen, Geschichten und Charaktere – ob bei „Angeschissen“ oder den Nachfolgebands „Blumen am Arsch der Hölle“, „Dackelblut“, „Kommando Sonne-nmilch“ und „Oma Hans“ – sind abstrus und schrullig, ohne albern zu sein. Bei aller Komik wird hier stets alles ernst genommen – todernst.
Aber Jensen, der vielleicht letzte große Punk-Exzentriker, beschränkt sich schon lange nicht mehr aufs Texten und Singen. Er schauspielert auch. An der Berliner Volksbühne und im Schauspielhaus Zürich spielte er in Schorsch Kameruns Stücken „Schön Ist Gewesen“, „Eisstadt“ und „Macht Fressen Würde“. Am schauspielhannover ist er in „Der Chinese im Kinderbett“ zu sehen.
Rachuts letztes großes Werk aber ist ein „septisches Hörspiel“: „Der Seuchenprinz“, dreiteilig, vom Ende nach vorn rückwärts erzählt. Darin findet der Journalist Danny Ferran heraus, dass das Leben auf der Erde mitnichten Produkt der Evolution ist, sondern ein Testprojekt von Außerirdischen. Und zwar von außerirdischen Studenten, die nach vier Millionen Jahren ihr Studium abschließen wollen. Die Aufgabe für die Abschlussprüfung: „Sucht euch einen Planeten aus, kreiert Lebewesen, macht das alles fruchtbar, baut eine Infrastruktur, und – Vorsicht! – gebt den denkenden Lebewesen höchstens 10 % Eigenständigkeit. Den Niederen, genannt Tier, 90 %. Sorgt für einen intakten Planeten.“ Die 10 Prozent Eigenständigkeit aber reichen schon aus. Die Studenten fallen durch und werden exmatrikuliert. Und machen sich daran, dass misslungene Endprodukt Menschheit zu entsorgen.
Nächsten Mittwoch macht nun Jensens neuestes Projekt, „die erste europäische Lesung aus einer Schrankwand“ Station im Westwerk. Eine Lesung von Rachuts Texten, ganz sicher aber keine typische: Es wird erzählt, gesungen, gelacht und gebrüllt, laut wie ein Konzert soll es werden, es gibt eine Kamera und eine Leinwand. Die Protagonistin ist „Opeckta – Die sprechende Schrankwand aus der Isebek“. Die Isebek? Ein meist unterirdischer Fluss, der Skagerrak mit schwarzem Meer verbindet und ein einziges Mal an die Oberfläche tritt: An der Isebekstraße, der „grauen Lunge von Altona“. Die Besatzung der Schrankwand: Jensen selbst, Jonas Landerschier aka Jones – der sonst für Rocko Schamoni oder Jan Delay orgelt – sowie die Schauspielerinnen Laura Tonke, Yvon Jansen und Mila Dargies.
Und als Zugabe gibt es Kostproben aus Jensens Ende des Jahres erscheinendem Buch: „Depressionen im Heizungskeller“.ROBERT MATTHIES
Mi, 20. 2., 21 Uhr, Westwerk, Admiralitätstraße 74, www.westwerk.org
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