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Der menschliche Streichelreflex

Die Bedingung für den Besuch dieser Ausstellung ist: Schuhe aus. Weil für die „Expedition ins Tierreich“ im hannoverschen Sprengel-Museum eigens ein Holzboden verlegt wurde, damit sich die Kinder, für die diese Ausstellung gemacht wurde, nicht die Beine in den Bauch stehen müssen. Einer Erhabenheit der Kunst ist damit von vornherein der Sockel genommen. Trotzdem handelt es sich bei den gezeigten Exponaten um Kunstwerke – und nicht um Illustrationen.

Die Ausstellung „Expedition ins Tierreich“ zeigt Tierdarstellungen aus der Sammlung des Sprengel-Museums und konzentriert sich auf skulpturale Arbeiten. Da ist beispielsweise eine überdimensionale Elster, gebaut von Phillip Zaiser aus vielen spitz zulaufenden Holzstücken – ein Wesen mit verschärfter Ergonomie, und in seiner Ähnlichkeit zu einem landenden Düsenjet nicht gerade freundlich. Andererseits steht da Niki de Saint Phalles Drache mit großem, bunten Kopf, einer Frisur aus Glühbirnen und einem Körper aus rostigen Metallteilen. Vor diesem Drachen braucht sich niemand zu fürchten. Ein freundlicher Drache, eine bedrohliche Elster, da stellt sich die Frage nach Freund und Feind mit dem Hinweis darauf, dass sich diese Kategorisierung nicht immer so einfach herstellen lässt.

Konkreter wird die Ausstellung bei den Arbeiten des Kölner Künstlers Thomas Grünfeld, der anhand seiner extrem naturalistischen Tierobjekte die Idee des Klons durchspielt. Da sind dann eine Giraffe mit Hirschkopf und ein Hund mit einem Schafskopf, und Grünfeld hat Wert darauf gelegt, dass diese „Misfits“ erstens niedlich aussehen und zweitens so perfekt gearbeitet sind, dass sie direkt aus einem Naturkundemuseum stammen könnten. Der menschliche Streichelreflex wandelt sich blitzartig zu einem inneren Zurückzucken. Froh darf man dann wieder sein, wenn daneben Kurt Schwitters „Stork“ steht, ein komischer Vogel, bei dem die Proportionen aus Spaß nicht stimmen.

Die „Expedition ins Tierreich“ ist eine überschaubare Ausstellung, zusammengehalten von der losen Klammer, moderne Tierdarstellungen zu präsentieren und damit das üppige Kinderprogramm des Sprengel-Museums zu ergänzen. Allzu einfach ist diese Kunst für Kinder nicht – dafür ist der Kunstgenuss in Socken nicht nur erlaubt, sondern Pflicht. kli

bis 12. Mai im Sprengel-Museum, Hannover

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