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1. Mai in Kreuzberg

Multikulti-Grill-Musik

So viel gegrillt wurde noch nie! Dichte Rauchschwaden liegen über der Adalbertstraße. Jeder Zeitungsladen, jeder Imbiss hat die Getränkekisten rausgestellt und Köfte auf den Rost gelegt. Aus jeder Seitenstraße dringt Musik – in der Naunynstraße, im „Bullenwinkel“, residiert der Gangsterrappernachwuchs. Vom Banner der Bühnenrückwand aus zielt ein Maskierter mit der Knarre aufs Publikum, aber auf der Bühne stehen nur ein paar übergewichtige Jungs und reimen mit ungelenken Bewegungen zu den Beats.

Vor dem Plattenladen in der Oranienstraße ruled Punk und Hardcore, am Heinrichplatz hört man Polka mit polnischen Texten, an der Ecke Adalbert steht der Dub-Reggae-DJ. Die O-straße hoch geht es weiter mit Electro und Techno, Richtung Oranienplatz wird es dann loungiger.

Die nicht Hiphop-sozialisierte, ältere türkische Community hat sich am Feuerwehrbrunnen versammelt. Da tanzen junge Kopftuchmädchen mit aufgetakelten Kiez-Schnallen und gegelten Jungs in langen Reihen. 200 Menschen halten sich tanzend an den Händen, und da wird es der Kreuzbergerin ganz warm ums multikulturelle Herz. Leider wird bei den Darbietungen immer wieder die Mizmar, ein traditionelles Blasinstrument mit wahrhaft durchdringendem Klang, eingesetzt, das in einer Hitparade der unangenehmsten Instrumente gewiss einen der vorderen Plätze belegte. Eine Demonstration zieht in der Ferne vorbei. Die Maoisten waren schon da, für die „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ ist es noch zu früh – vielleicht die „Ich-Stress-Demo“ vom Euromayday? Berechtigte Forderungen werden ins Megafon gebrüllt. Natürlich sucht man sich für diese Aufgaben die Frauen mit den schrillsten Stimmen aus!

CHRISTIANE RÖSINGER

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