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berliner szenen Super-Suppen

Faceliftung in Kreuzberg

Die Eröffnung des neuen, großen Kaiser’s in der Bergmannstraße hätte eigentlich ein Fest sein sollen. Auf dem Bürgersteig vor dem Supermarkt waren Stände aufgebaut mit Blumen, Luftballons und Fahrrädern. Die Räume entsprachen internationalen Supermarktstandards. Der alte Kaiser’s war ja etwas eng gewesen – man hatte sich manchmal gewünscht, er wäre so groß wie der zweistöckige am Kottbuser Tor.

Dort hatte ich das letzte Mal B. getroffen. Fröhlich hatte mich der alte Freund begrüßt. Er hatte mitgenommen ausgesehen und nach Pisse gestunken und mir vorgeschlagen, einen Tee trinken zu gehen. Ich hatte gesagt, ich hätte keine Zeit.

Die Gänge im neuen Kaiser’s sind jetzt doppelt so breit. Bei den Suppen steht „Superpreis!: 1,99“. Im alten Kaiser’s waren sie, glaube ich, billiger. Alles ist neu und auch die Menschen sind andere. Nur einen der Wachleute und eine ältere Verkäuferin meine ich wiederzuerkennen. Der Rest der Belegschaft ist wohl ausgetauscht worden. Ich stellte mir vor, alle Mitarbeiter hätten die Anweisung erhalten, zum Friseur zu gehen. Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass viele der alten Mitarbeiter einen Tag freibekommen hatten.

Die fünf, sechs Penner, die immer vor dem alten Kaiser’s standen und Bier tranken, sind nicht mit umgezogen. Nur zehn Meter vor dem neuen Geschäft sah ich den Taubstummen mit seinem Einkaufswagen stehen. Ich ging zu ihm und sagte, es sei ja schade, dass der alte Kaiser’s nun weg sei. Lächelnd brabbelte er was und verwies auf seine Taubstummheit, und ich versuchte meine Lippen beim Sprechen ganz deutlich zu bewegen. Und die Bergmannstraße sah an diesem Abend wie die Rache vom Kollwitzplatz aus.

DETLEF KUHLBRODT

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