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Die Gefühle sind gnadenlos

Eine dichtende Greta Garbo: Eileen Chang wird in den USA seit langem kultisch verehrt, nun ist die Erzählerin endlich auf Deutsch zu entdecken – mit Geschichten über die garstige Liebe

VON SUSANNE MESSMER

Eine geschiedene Frau hat sich im Schanghai der Vierzigerjahre so lange von ihren Brüdern und Schwägerinnen gängeln lassen müssen, dass sie sich Hals über Kopf in eine aussichtslose Affäre mit einem Playboy stürzt. Dieser denkt nicht daran, sie zu heiraten. Die beiden mögen sich irgendwie. Wie sehr allerdings, das scheinen sie selbst nicht so genau zu wissen, denn jeder ist stramm in seine eigene Geschichte verstrickt und in die lang vernachlässigte Sorge um sich.

Eine andere Frau wird im selben Schanghai derselben Zeit als Spionin auf einen Kollaborateur der Japaner angesetzt, auch hier sind Gefühle im Spiel, auch hier sind sie schwierig, ja hochgradig widersprüchlich. Lässt die schöne Spionin am Ende ihren Auftrag sausen, weil sie sich doch trotz des sonst so kühlen Kopfs verliebt hat? Hat sie sich in seine Macht oder eher in ihre eigene Macht über den Mann verliebt? Oder war es am Ende doch nur ein chemischer, ein rein körperlicher Entschluss?

Die Kniffligkeit des Geschlechterkampfes ohne klare Fronten, in dem nichtsdestotrotz Blut, Schweiß und Tränen in Strömen fließen: Das ist es, was fast allen Geschichten von Eileen Chang ihren gnadenlosen Motor verleiht. Eine der besten, die von der schönen Spionin und dem Kollaborateur, war im letzten Herbst in einer hocherotischen Verfilmung Ang Lees in den Kinos zu sehen. Nun sind unter demselben Titel „Gefahr und Begierde“ endlich erstmals eine Reihe von Erzählungen der chinesischen Autorin auf Deutsch erschienen, die eigentlich Zhang Ailing hieß, 1920 oder 1921 in eine traditionsreiche Schanghaier Familie hineingeboren wurde, 1952 die Volksrepublik verließ, zuerst nach Hongkong ging und dann in die USA, wo sie bis zu ihrem Tod 1995 allerdings kaum Neues mehr schrieb.

Nun können sich also auch deutsche Leser ein plastisches Bild machen, warum diese Autorin heute im angloamerikanischen Raum von der chinesischen Exilgemeinde als dichtende Greta Garbo kultisch verehrt wird, warum sie überhaupt als eine der interessantesten Erzählerinnen der klassischen Moderne Chinas gilt. Eileen Chang war eine der Ersten, die so milieugenaue, gegenwärtige und urbane Literatur schrieb. Dabei hat sie sich weniger für das Urbane als Metapher interessiert denn als Phänomen und Schauplatz für den Krieg der Geschlechter, da hier Tradition und Moderne besonders helle Funken schlagen.

Eileen Changs Literatur war nicht nur weit davon entfernt, vor den Karren irgendwelcher sozialistisch-realistischer Ideologien gespannt werden zu können – unter Mao galt die Autorin als dekadent und bourgeois. Sie schrieb auch insofern hochmodern, als dass sie die damalige Schanghaier Mode der Haipai, der kommerziell erfolgreichen Unterhaltungsliteratur, konterkarierte und einerseits Liebesgeschichten schrieb, andererseits jedoch immer nur von der garstig gescheiterten Liebe – der Liebe, deren Keim schon von gesellschaftlichen Konventionen, den Widrigkeiten des Alltags oder eigennützigen Interessen wie dem Wunsch nach Existenzsicherung oder Ausbruch erstickt wird.

Dabei ist das Erstaunlichste an den Geschichten der Eileen Chang: Hier geht es niemals um positive Heldinnen oder um Frauen, die einfach nur Verliererinnen oder Unterdrückte sind und die man darum wie eine gute Altfeministin bemitleiden könnte. Oft sind sie Opfer starrer Traditionen geworden oder ekelhafter Klassen- oder Geschlechterhierarchien, wie sie heute noch aktuell anmuten. Immer aber schlagen diese Frauen aufs brutalste zurück – und zwar beschrieben in einer derart staubtrocken verknappten Sprache, dass einem in einer seltsamen Mischung aus Schreck, Schadenfreude und Bewunderung buchstäblich die Spucke wegbleibt.

Zum Beispiel so. Eine so langweilige wie gelangweilte Frau setzt alles daran, „nur ja keine Aufmerksamkeit zu erregen“, andererseits besteht auch „keine übertriebene Gefahr, dass sie jemandem auffallen könnte, denn ihr Gesicht ist so „blass, schlaff und konturlos“, dass nicht einmal ihre Mutter sagen könnte, „ob dieses Gesicht nun länglich ist oder rund“. Allein aus Rache an ihrer „modernen Musterfamilie“, die sie zu einer solch guten Tochter, guten Studentin und schließlich guten Lehrerin erzogen hat, bildet sie sich ein, sich in einen verheirateten Mann verliebt zu haben, der eigentlich kaum Chancen hätte bei einer Frau wie ihr. So zu lesen in der Geschichte „Straßensperre“.

Der Mann einer anderen Frau, der Heldin der Geschichte „Spuren einer Liebe“, ist früh gestorben. Darum gibt sie sich damit zufrieden, die Zweitfrau eines mehr als zwanzig Jahre älteren Geschäftsmannes zu werden. Sie ist derart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen, dass ihre Frisur „ebenso exakt und vernünftig wie die Gedanken in ihrem Kopf“ geordnet ist und ihr Qipao, ihr chinesisches Kleid, „so prall gefüllt, als trüge sie darunter ein Stahlkorsett“. Das gibt ihr scheinbar die Kraft, ihren Mann bei jeder nur denkbaren Gelegenheit zu demütigen und zu beleidigen und beispielsweise aller Welt lauthals zu verkünden, dass er laut einer kürzlich besuchten Wahrsagerin nicht mehr lang zu leben habe.

Eileen Changs schonungslos bitterböse Prosa lässt kaum je einen winzigen Streif am Horizont, an den man sich hin und wieder verzweifelt krallen könnte. Nur ein einziges Mal findet in einer Geschichte ein „Paar“, vielmehr eine der vielen jämmerlichen Not- oder Zwangsgemeinschaften dieser chinesischen Sprachmagierin, doch noch zusammen. Allerdings muss dazu vorher eine ganze Stadt untergehen. Erst als Hongkong bombardiert wird und ebenso vollständig in Trümmern liegt wie jede Vergangenheit, Zukunft, jeder Alltag und jede Konvention: Da macht der Playboy der geschiedenen Frau endlich seinen Antrag.

Eileen Chang: „Gefahr und Begierde“. Aus dem Chinesischen von Susanne Hornfeck, Wang Jue und Wolf Baus. Claassen Verlag, Berlin 2008, 248 Seiten, 18 Euro

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