: Das Schloss ist ausgetauscht
Faruk Sen wird offenbar nicht Chef des Zentrums für Türkeistudien bleiben
KÖLN taz ■ Er galt als eine Institution in Integrationsfragen in Deutschland. Doch nun steht Faruk Sen vor einem Scherbenhaufen. Seine Entlassung als Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien (ZfT) scheint nur noch eine Formsache. Auch wenn er die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat: Es käme einem Wunder gleich, wenn sich das zuständige Stiftungskuratorium auf seiner Sondersitzung am 18. Juli gegen die Abberufung des 60-jährigen Professors aussprechen würde.
Nach dem Beschluss, die Abberufung zu beantragen, hat der ZfT-Vorstand inzwischen weitere Maßnahmen gegen Sen ergriffen. Der 60-jährige Ökonom wurde mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Nach taz-Informationen wurde ihm verboten, die Zentrale in der Altendorfer Straße in Essen zu betreten. Schlösser wurden ausgewechselt, sein E-Mail-Account wurde gesperrt, die Benutzung seines Dienstwagens ihm untersagt.
Die vorläufige Leitung des Instituts hat der bisherige Geschäftsführer Andreas Goldberg übernommen. „Wir sind weiterhin absolut arbeitsfähig“, sagte Goldberg. „Wenn ein Trainer entlassen wird, gibt es ja immer noch die Mannschaft.“ Den tiefen Fall seines bisherigen Chefs bezeichnete er als „menschliche Tragödie“. Doch nun müsse der Blick nach vorne gerichtet werden. „Hier geht es auch um Arbeitsplätze“, sagte Goldberg. Rund 30 Mitarbeiter hat das ZfT an seinen beiden Standorten in Essen und in Berlin.
An die Rückkehr auf seinen alten Posten glaubt wohl nur noch Sen allein. „Ich werde kämpfen“, sagte er der taz. „Mir wird großes Unrecht getan.“ Sen, der sich immer noch in Istanbul aufhält, fühlt sich missverstanden und sieht sich als Opfer einer politischen Intrige. „Dagegen werde ich mich juristisch, politisch und in der Öffentlichkeit wehren.“ Der Wissenschaftler glaubt allerdings auch noch an die Chance, dass der Entlassungsantrag erst gar keine Mehrheit im Kuratorium findet. Das dürfte jedoch ein Wunschtraum bleiben. Das ZfT brauche einen personellen Neuanfang, verkündete der dem Kuratorium angehörende stellvertretende FDP-Landtagsfraktionschef Christian Lindner. „Künftig müssen wissenschaftliche Qualität und politische Sensibilität wieder wichtiger werden als Publicity.“
Auch bisherige Unterstützer Sens im Kuratorium gehen inzwischen auf Distanz. So wie der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Guntram Schneider (SPD): Er habe seinen Parteifreund immer geschätzt. Inzwischen sei ihm allerdings bekannt geworden, dass Sens völlig missratener Vergleich der heutigen Situation der Türken in Europa mit dem Schicksal der europäischen Juden bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs kein einmaliger Ausrutscher gewesen sei. Sen habe sich anscheinend schon des Öfteren in türkischsprachigen Artikeln kräftig im Ton vergriffen. „Der Mann hat offensichtlich zwei Gesichter: eines für die deutsche und eines für türkische Öffentlichkeit“, sagte Schneider der taz. Nach dem gegenwärtigen Sachstand werde er der Abberufung zustimmen.
Anderen geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Sie hoffen, dass Sen von sich aus das Handtuch wirft. Der Landtagsabgeordnete Ewald Groth formuliert es diplomatisch: „Faruk Sen hat sich einen ehrenvollen Abgang verdient“, sagte das grüne Kuratoriumsmitglied. Schließlich habe er „große Verdienste um den Aufbau des Zentrums“. Sens Verdienste betonen alle Gesprächspartner – doch für seinen Verbleib setzt sich niemand ein. Manche Kuratoriumsmitglieder, wie der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper, wollen allerdings vor ihrer Entscheidung noch mit Sen sprechen.
PASCAL BEUCKER
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