: Schattenspiele
Partisanen der Schönheit: Selten wurde eine Retrospektive so raffiniert inszeniert, wie es Tobias Rehberger im Museum Ludwig Köln gelingt
VON MARKUS WECKESSER
Die Besucher lachen oder sie sind irritiert, wenn sie das Aquarell von Tobias Rehberger sehen. Das Bild zeigt einen orientalisch gekleideten Mann und George W. Bush, die vor einem zeitgenössischen Flachdachbau stehen und in ihren Händen große Eier halten. Der Titel lautet www.maenner-mit-dicken-eiern.de. Ein Kalauer, gewiss. Doch immerhin ein guter.
Nur um wen handelt es sich bei der arabischen Figur? Ist es Ussama Bin Laden, wie manche Besucher glauben? Im Kontext mit dem amerikanischen Präsidenten mag die vereinfachte Gleichung „Mann mit Bart gleich Terrorist“ nahe liegen. Aufgehen kann sie indes nicht. Denn mit dem verhärmten, in schlichtes Leinen gekleideten Al-Qaida-Anführer hat die wie ein Märchenprinz aus Tausendundeiner Nacht geschmückte Figur so gar keine Ähnlichkeit. Eher ist anzunehmen, dass der Künstler sich selbst mit Turban und Schnabelschuhen porträtiert hat.
Weniger omnipotent, dafür eher selbstreflexiv und ironisch gestaltet sich die „Das-kein-Henne-Ei-Problem-Wandmalerei“ im Museum Ludwig, eine Installation, die in abgewandelter Form zuvor bereits im Amsterdamer Stedelijk Museum zu sehen war. Knapp 40 Arbeiten aus dem Oeuvre der vergangenen 15 Jahre sind in der Mitte des Ausstellungsraumes aufgereiht. Darunter Modelle von Baumhäusern für Flüchtlinge, Skulpturen aus farbigem Plexiglas und Objekte im Grenzbereich zwischen Kunst und Design.
Die frei stehenden Werke werden seitlich mit Theaterspots angestrahlt, sodass sie auf die Wand gegenüber verzerrte Schatten werfen. Im Unterschied zu Platons Höhlenbewohnern sehen die Betrachter nicht nur das zweidimensionale Schattenbild, sondern auch das sie verursachende dreidimensionale Objekt. Die kuriosesten Schatten werfen die Prothesen, angefertigt nach Maßgabe des Künstlers wie ein Entenkopf oder ein männliches Geschlecht. Aber nicht alle Schatten sind echt. Einige hat der Künstler frei hinzugefügt, andere um Zeichnungen und Malerei ergänzt.
Die Manipulation ist nur allzu offensichtlich, doch darum nicht weniger reizvoll. Wenn Tobias Rehberger den Schatten eines Blattes zeichnerisch zum Umriss eines Hundes umdeutet, gleicht sein spielerisches Vorgehen Kindern, die in Wolkenformationen Figuren entdecken. Von dieser Leichtigkeit ist die gesamte Installation bestimmt. Durch minimale Eingriffe gelingt es Rehberger, sich aller Theorieschwere zu entledigen. Mit Hilfe von Sprechblasen lässt er etwa die Schatten von nachgebauten Designerstühlen kommunizieren. „He thinks he is beautiful“, denkt das Hocker-Imitat aus den Berliner Werkstätten, während die Breuer-Kopie überlegt: „Sie denkt, sie wäre Amerikanerin.“
Der Sammler in der Vase
Das hat Witz, ohne Fragen zur Bedeutung und Wechselwirkung von Urheberschaft, Gebrauchswert und Markenwerten zu negieren. Angefertigt wurden die Stühle von Handwerkern in Kamerun. Als Bauvorlage dienten Bleistiftzeichnungen des Künstlers, die er aus dem Gedächtnis anfertigte. Erwartungsgemäß stimmen die Proportionen der Kopien nicht mit den Originalen überein. Die Möbel entpuppen sich als Partisanen der Schönheit, deren Imperfektheit einen neuen Blick auf die Klassiker ermöglicht.
Dem strengen Diktat der Form entziehen sich auch Rehbergers Lampen, die nach jedem Aufbau anders aussehen. Um eine Glühbirne herum baut der Künstler eine zumeist großformatige Konstruktion aus Draht und farbigen Klettbändern, die sich bandnudelartig knäulen und winden. Dementsprechend schön verschwurbelt sind die Wandschatten.
Ebenfalls gut geeignet für das Schattenspiel sind seine Porträts: Für Köln wählte Rehberger Darstellungen der Sammlerfamilie Grässlin aus. Er bat jedes Mitglied um einen Strauß seiner Lieblingsblumen und ordnete diesen einer von ihm gestalteten Vase zu.
Der Parcours endet mit einer Videobibliothek, in der rückwärtig Monitore eingebaut sind, auf denen Filmclips aus Ehekriegen und Ritterkämpfen flimmern. Bislang war die Arbeit vor einer Wand platziert, worauf die Projektion schimmerte. In Köln kann der Betrachter die Skulptur erstmals auch umgehen und sehen, welche Filmausschnitte der Künstler zusammengestellt hat. Das Flackern indes verliert sich und reicht nicht bis zur Wand. Die schwachen Schatten der Skulptur ergänzte Rehberger malerisch und fügte den Umriss von einem Turm des World Trade Centers und ein gekreuzigtes Riesenei hinzu.
Mit Blick auf das eingangs beschriebene Aquarell schließt sich hier der Kreis. Im Gegensatz zum Politiker ist der Künstler bereit, zumindest sinnbildlich den Anspruch auf Vollkommenheit und Genialität zu opfern (Ei). Seine schöpferische Potenz (Turmbau) büßt er deswegen ebenso wenig ein wie das Wissen um die Notwendigkeit, Abbilder (Klischee vom Künstler/Araber) immer wieder neu zu hinterfragen.
Bis 21. September, Museum Ludwig, Köln. Katalog (DuMont Buchverlag), 38 €
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