: IOC sagt ja zur Zensur
Ausländische Politiker sind empört über die Sperrung von Internetseiten. Dabei wird sie von Sportfunktionären mitgetragen
AUS PEKING GEORG BLUME
Wang Xiaoshan traut den Internetspezialisten im internationalen Pressezentrum der Olympischen Spiele „nicht mal den Intelligenzquotienten von Betrügern“ zu. Wang ist Sportreporter bei der chinesischen Ausgabe des US-Sportmagazins Sports Illustrated. Vorher war er Feuilletonchef der Neuen Pekinger Zeitung, verließ aber im Protest das Blatt, nachdem die KP-Propagandabehörde den zuvor kritischen Chefredakteur ausgewechselt hatte. Er zählt zu den bekanntesten Journalisten Chinas und wundert sich, warum seine ausländischen Kollegen im Olympia-Pressezentrum nicht die in China üblicherweise zensierten Internetseiten einsehen können.
„Eigentlich hätte das technisch nicht passieren dürfen. Die chinesische Regierung schafft es nicht einmal, Chinesen und Ausländer unterschiedlich zu behandeln“, sagt Wang. Dass sich Peking den aufkochenden Streit mit der internationalen Presse um den freien Internetzugang während der Spiele in Peking absichtlich eingehandelt hat, bezweifelt er. „Die Regierung hat eigentlich alles getan, um den ausländischen Journalisten so viel Freiheit wie möglich zu sichern, während von der Freiheit für chinesische Journalisten natürlich keine Rede war“, sagt Wang.
Und trotzdem befindet sich die in Peking für die Spiele versammelte ausländische Berichterstatterschar in Aufruhr. Man checkt im Hotel ein, man lässt den gelben Olympia-Presseausweis registrieren, erhält den Zugang zum Pressezentrum und schaut erst mal online nach der Nachrichtenlage. Und schon fängt der Ärger an: Die Website von amnesty international lässt sich nicht aufrufen. BBC auch nicht. Dabei hatte amnesty gerade erst am Montag seinen neuen Olympia-Bericht veröffentlicht.
Kevan Gosper, Vorsitzender der Pressekommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), will es erst nicht glauben: „Es stimmt schon, dass ein Bericht wie der von amnesty über Olympia als notwenig für die Arbeit eines Reporters betrachtet werden könnte“, sagt Gosper. Da hat er aber offenbar noch nicht mit seinen IOC-Oberen Rücksprache gehalten. Denn später rudert Gosper zurück: „Meine Verantwortung ist es, sicherzustellen, dass über die Wettkämpfe für die ganze Welt offen berichtet wird. Das bedeutet nicht unbedingt, dass es einen Zugang zu allen Seiten über China geben muss“, teilt er mit.
Mit anderen Worten: Über Sportthemen, für die in China sowieso keine Internetzensur besteht, darf frei berichtet und auch frei online recherchiert werden, aber nicht über politische Themen.
Dabei hatte Gosper im April noch erklärt, China werde die Internetzensur im Pressezentrum komplett aufheben. Jetzt sagt Gosper: „Ich bin enttäuscht, dass der Zugang nicht größer ist. Aber ich kann den Chinesen nicht sagen, was sie tun sollen.“ Er räumt ein, dass hohe IOC-Vertreter der Sperrung von Webseiten zugestimmt hätten.
Die gleiche Kehrtwende vollzogen gestern die chinesischen Veranstalter der Spiele. Schon bei der Vergabe der Spiele im Jahr 2001 hatte China eine „völlig freie Berichterstattung“ versprochen. „Journalisten werden frei arbeiten können“, wiederholte der Sprecher des Pekinger Organisationskomitees der Olympischen Spiele (Bocog), Sun Weide, noch am Dienstag. Gestern aber fügt er hinzu, dass mehrere Webseiten gesperrt würden, und nannte als Beispiel die Seiten der in China verbotenen Falun-Gong-Sekte. Nicht mehr von einem „völlig freien“, sondern von einem „ausreichenden“ Internetzugang spricht Sun.
Entsprechend empört reagieren westliche Politiker und Menschenrechtsorganisationen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der während der Spiele in Peking als Gast erwartet wird, empfiehlt China, für ein „größtmögliches Maß an Offenheit“ zu sorgen. Amnesty-Sprecher Robert Godden kritisiert das IOC. „Das IOC hat es unterlassen, mit der Gastgeberstadt den unzensierten Internetzugang vertraglich zu vereinbaren und damit sein Versprechen voller Medienfreiheit während der Spiele zu erfüllen“, sagt Godden.
Chinas staatlich kontrollierte Medien sind auf die Vorwürfe vorbereitet. „China hat seine Versprechen gehalten, aber nicht auf die eigenen Prinzipien verzichtet“, kommentiert die Pekinger Global Times. Keine Regierung in der Welt würde sich nach der Kritik ausländischer Journalisten richten und Dinge tun, die das Interesse des eigenen Landes verletzten, schreibt das Blatt.
Kritik an der Empörung gibt es auch von unabhängiger Seite. „Kann man im Ausland alle Internetseiten lesen? Die ausländischen Journalisten suchen Knochen in Eiern“, sagt Lou Huanqing, Mitglied des Pekinger Google-Stundentenclubs. „Natürlich gibt es eine viel größere Pressefreiheit im Westen, aber es könnte auch ein bisschen Toleranz gegen andere Zensurvorschriften geben, außerdem lassen sie sich mit etwas Know-how alle umgehen,“ sagt Lou.
Mehr Verständnis zeigt der Kulturkritiker der Neuen Pekinger Zeitung, Pan Caifu: „Alle, die sich über Peking empören oder lustig machen, haben schon ein Olympia hinter sich. Sie kommen aus demokratischen und reichen Ländern. Sie sind berechtigt, zu klagen. Weil es für uns das erste Mal ist, müssen wir ruhig und gelassen akzeptieren, dass andere uns kritisieren und auslachen“, schreibt Pan.
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