: Barbie aus der Ingwerwurzel
Eine Ausstellung in der Drostei Pinneberg nimmt den Länderschwerpunkt des Schleswig-Holstein Musikfestivals auf und zeigt Malerei und Fotografie jüngerer russischer Künstler. Nicht ganz eindeutig hantieren mehrere Arbeiten mit slawischen Klischees
Der Ausstellungsort ist der ehemalige Sitz des Landdrosten, des dänischen Verwalters der Grafschaft Pinneberg: Die barocke Landdrostei ist eins der wenigen historischen Gebäude Pinnebergs, die die 50er Jahre überstanden. Seit 1991 gibt es hier Ausstellungen, Konzerte und manchmal sogar Märchenlesungen – schließlich ist man auch auf Spenden aus der Region angewiesen, um den kargen Etat aus städtischer Förderung aufzustocken.
Einmal im Jahr aber scheinen die Verantwortlichen aus der vermeintlichen Provinzialität ausbrechen zu wollen: beim Schleswig-Holstein Musikfestival (SHMF). Das ist in diesem Jahr Russland gewidmet und so hat Kuratorin Erle Bessert eine Ausstellung jüngerer russischer Maler und Fotografen in die Drostei geholt, die allesamt in Deutschland leben und arbeiten. „Jünger“ bedeutet hierbei: fast durchweg unter 40.
Zusammengekommen ist leicht und schwer Verkäufliches, teils aber höchst Intelligentes: Andrej Krementschouk etwa, Jahrgang 1973, hat in seinem Heimatdorf eine sehr persönliche Fotoserie erstellt. Das Ziel seiner Reise: das fremd Gewordene wieder zu verstehen. Dabei hat er sich, und das sorgt für Spannung, nicht immer klar zwischen Nähe und Distanz entschieden. Dem Dorf seiner Kindheit nähert er sich sozusagen bis auf Armeslänge. Echtes Elend zeigt er dabei nicht, im Mittelpunkt stehen Menschen und ihre Räume. En passant präsentierte Details – eingerissene Tapeten, fadenscheinige Kleidung und Decken – sagen genug über die Armut der Region. Eine zahnlose Frau schreit in die weite Ebene hinein – ob vor Freude oder Schmerz, bleibt offen.
Aleksandra Koneva, Jahrgang 1972, schaut nicht in die Vergangenheit, sondern umso schärfer auf die westliche Gesellschaft, ihre Codes und Klischees. Barbie- und Ken-Figuren hat sie in Reagenzgläser gestellt und fotografiert. „Konstrukteur“ heißt einer, mit Nagel und Glühbirnen an der Kleidung, „Fundort Garage“ steht da. „Transformer“ nennt sich ein anderer, quasi mit einem Auto bekleidet, Fundort: Sonnenstudio. Und schließlich „Scharfe Braut“, ein Barbiekopf samt Gliedmaßen, die aus einer – ja, scharfen – Ingwer-Wurzel herausragen, gefunden am Asia-Imbiss. Relativ schlichte Wortspiele und Symbole, einerseits. Oder auch beißender Kommentar zu zeitgenössischen Schickeria-Auswüchsen.
Von Nadja Kuznetsova, geboren 1960, zeigt die Ausstellung leicht retouchierte Schwarzweiß-Fotos von Mädchen, die durchscheinenden prä-raffaelitischen Nymphen gleichen: junge Frauen mit Waage oder Engelsflügeln, eine betrachtet sich sinnend im Spiegel. Ob diese ausgesprochen ambivalenten Porträts einen Mädchentypus beschwören wollen oder ihn bloßstellen, ist uneindeutig. Die Autorin entscheidet sich gerne für den Zweifel: für die Interpretation dieser Fotos als Abgesang auf das „zart und engelhaft“-Klischee, wie es regelmäßig in der Werbung aufscheint.
Weniger Zweifel werfen die Zeichnungen und Gemälde von Ekaterina Ezhkova auf: Nach Familienalben hat die 1977 geborene Künstlerin Skizzen gemacht und auf grobe Leinwände geworfen. Die Kinder verkörpern dabei derart aufdringlich allerlei Klischees der slawischen Physiognomie, dass diese Arbeiten zwangsläufig als satirisch gemeint erscheinen müssen. Und als Frage danach, ob sich das neue Russland zwangsläufig über die stereotype Darstellung des Alten definieren muss.
Gesellschaftliche Themen überwiegen in der Pinneberger Ausstellung. Auch finden sich Reminiszenzen an Vergangenes, vermeintlich Idyllisches. Nicht aufspüren aber lässt sich irgendeine Gemeinsamkeit des Gezeigten, die in der einenden Nationalität der Künstlerinnen und Künstler fußt. Ganz zu schweigen von irgendeinem „typisch Russischen“ in der Kunst. PETRA SCHELLEN
„Russische Variationen“: bis 14. 9. in der Drostei, Dingstätte 23, Pinneberg
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