piwik no script img

Sommer, langsamer

Ein Latte für 24 Stunden: Zeitmessen ist relativ, wie die schöne Ausstellung „When a clock is seen from the side it no longer tells the time“ in der Galerie Johann König zeigt

Unbemerkt hineinhuschen kann man derzeit nicht in die Ausstellungsräume der Galerie von Johann König. Wenn sich die Tür öffnet, bimmelt es. Der Berliner Konzeptkünstler Jan Timme hat oberhalb der Eingangstür eine kleine Glocke angebracht, die profane Vorrichtung kann als ironischer Kommentar zur heiligen Aufmerksamkeit in Galerieräumen verstanden werden. Timmes Installation, zu der noch eine weitere Glocke im mittleren Raum gehört, ist Teil der Gruppenausstellung „When a clock is seen from the side it no longer tells the time“, in der Arbeiten zum Thema Zeit zu sehen sind.

Der Ausstellungstitel, einem Kommentar Marcel Duchamps zu einer Notiz aus seiner „Grünen Schachtel“ entliehen, verweist auf die grundlegende Perspektivität jeder Zeitwahrnehmung. Entsprechend vielfältig sind die künstlerischen Ansätze, 22 internationale Künstler sind vertreten.

Wie Jan Timme, der an die tagein tagaus disziplinierende Funktion der (Uhr-)Zeit erinnert, holen auch andere Künstler das metaphysische Megathema Zeit auf den Boden der Alltäglichkeit zurück. In dem Film „End of Time“ interviewt Jordan Wolfson einen Mann, der angeblich in der Zukunft gelebt hat. In Kris Martins Klanginstallation fragt eine körperlose Stimme im 30-Sekunden-Takt „What’s the time?“. Eine stillstehende Leere entsteht in der Erwartung der Antwort, die niemals kommt.

Auch On Kawaras Postkarten aus der bekannten Serie „I got up at“ stellen Ereignislosigkeit aus. An die immer gleiche Adresse hat On Kawara Postkarten geschickt, auf denen schlicht zu lesen war, wann er an dem jeweiligen Tag aufgestanden ist. Ganz nebenbei entmystifizierte er im Jahr 1979 mit diesen Nullbotschaften die Künstlerexistenz – seine recht geregelten Aufstehzeiten entsprechen kaum dem ideologischen Klischee vom ach so freien Bohemeleben. Projektionen auf das Künstlertum ruft ebenfalls ein benutzter Pinsel der Künstlerin Kirsten Pieroth auf. Als stummer Zeitzeuge scheint er den Akt künstlerischer Kreativität zu dokumentieren. Um die Ecke lauert aber die volle Wahrheit: Ein kleines Foto zeigt, dass er lediglich mit Farbe bestrichen wurde.

Mit ihrem überraschenden Vorher/Nachher-Fake entzieht sich Pieroth der Zuschreibung authentischer Urheberschaft, eine Verweigerung, die in konzeptueller Kunst seit jeher wichtig war. An die Stelle von Autor und Eingebung treten Prozess und Eigenzeit künstlerischer Produktivität. Eine weitere Strategie, um diese kenntlich zu machen, ist das Delegieren an andere. Walead Beshty hat die Transportfirma Fedex an seinem minimalistischen Arrangement mitwirken lassen, indem er zwei fragile Glaskuben von seinem Studio aus auf die Reise schickte. Die angeknacksten Objekte und zwei zerknautschte Fedex-Kartons berichten von einer sukzessiven Beschädigung. Dass Kunstproduktion auch einfach nur ein Zeittotschlagen sein kann, thematisiert Johannes Wohnseifer mit dem Aluminiumguss einer Styroporlatte, die er 24 Stunden lang nicht aus der Hand gelegt hat.

Statt melancholischer Emo-Kunst über den vergänglichen Zeitfluss stellt „When a clock is seen from the side it no longer tells the time“ angenehm nüchterne Ansätze nebeneinander. Korrespondenzen ergeben sich dabei beiläufig. Kaum zufällig dürfte die Ausstellung gerade jetzt zu sehen sein. Der August ist schließlich die Primetime des Sommerlochs, alles schleppt sich träger als sonst durch den Kalender. Diese Phase des veränderten Zeitgefühls eignet sich gut, um anhand der vielen gelungenen Arbeiten zwanglos über die Zeit nachzudenken.

ARAM LINTZEL

„When a clock is seen from the side it no longer tells the time“, Galerie Johann König, bis 31. August

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen