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Hat sich das Bild von China verändert?

Die Goldflut für China? Die Internet-Zensur durch das Regime? Das Scheitern des Hürdenläufers Liu Xiang? Acht taz-Korrespondenten ziehen Bilanz der Olympischen Spiele in Peking

Der Bär ist vom Drachen hypnotisiert

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Der Krieg im Kaukasus überschattet in Russland die Olympischen Spiele. Russische Medien berichten zwar von den Sportereignissen. Chinas Land und Leute finden in den russischen Medien indes nur schwachen Widerhall.

Grundsätzlich ist die Haltung Russlands zu China ambivalent. Die politische Führung buhlt seit Jahren um Chinas Aufmerksamkeit, das man gerne als Verbündeten gegen den Westen gewinnen würde. Die russische Bevölkerung bringt dem asiatischen Nachbarn jedoch eher Misstrauen denn Sympathie entgegen. Als der Kreml im Juli mit Peking im Fernen Osten einen Gebietsaustausch am Amur vereinbarte, waren viele Russen irritiert. Denn russischer Boden ist heilig.

Ohnehin verdächtigt der Durchschnittsbürger die Chinesen, sie hätten es auf Sibiriens Raum und Bodenschätze abgesehen. Die Kosaken von Chabarowsk in Sibirien haben sich soeben neu formiert, um einer chinesischen Invasion zuvorzukommen. Von Zuneigung lässt sich da kaum sprechen.

Moskaus aggressive Haltung gegenüber den USA und dem Westen hat unterdessen zur Folge, dass die Herausforderungen, seien sie demografisch, wirtschaftlich oder territorial-militärisch, von der politischen Führung verdrängt und öffentlich auch nicht angesprochen werden. Auffällige Ratlosigkeit herrscht. Manchmal hat es den Anschein, als sei der russische Bär wie hypnotisiert von der gigantischen Wachstumsleistung des chinesischen Drachens und harre nur, bis er zupacke.

Auf den anstehenden Rollentausch mit China ist Russland innerlich nicht vorbereitet. Bislang verstand sich das eurasische Russland gegenüber China als europäischer Lehrmeister. Rassistische Motive sitzen in Russland tief und sind weit verbreitet. Aus Moskauer Perspektive eignet der chinesischen Zivilisation etwas „Barbarisches“.

Wenn es gelegentlich doch mal einen Blick zum Nachbarn gibt, dann sind es meist folkloristische Beiträge, die wohl die Angst vertreiben helfen und die Gefahr verniedlichen sollen. Langfristig dürfte der chinesische Vormarsch noch schlimmere Verheerungen im russischen Psychohaushalt anrichten als der Zusammenbruch des Imperiums. Bislang stellt sich Russland taub und klagt nicht einmal, dass China auch im Sport die einstige Führungsrolle der Sowjetunion übernommen hat.

Die Oberlehrer gegen die Gold-Diktatoren

AUS WASHINGTON KARIN DECKENBACH

„Sie haben ja einen guten Job gemacht“, sagt die Nachbarin, „aber bei diesen Turnerinnen konnte ich gar nicht hingucken, die armen chinesischen Kinder.“ „Hast du diesen Flughafen gesehen“, sagt der Nachbar, „so was haben wir hier nicht.“ „Falls China sein Erscheinen als große Macht ankündigen wollte, dann haben wir die Botschaft verstanden“, schreibt Eugene Robinson in der Washington Post. Wie er das meint? So: „Jeder, der schon paranoid war über Chinas aufkeimenden Reichtum und seinen Status, hat nun weiteren Grund, alarmiert zu sein. Denn die Chinesen haben die vielleicht unvergesslichsten Spiele aller Zeiten inszeniert.“

Vor Olympia haben die Amerikaner paranoid auf die Flut von Billigwaren aus China reagiert. Nun müssen sie die Bilder der teuren Arenen, des hypermodernen Flughafens, der strotzenden Symbolbauten verdauen. „Das erinnert unweigerlich daran, dass unsere Beziehung zu China die eines Schuldners zu seinem Kreditgeber ist“, seufzt Robinson, „Tatsache ist, dass man dazu tendiert, höflich mit der Bank umzugehen, die einem das Haus finanziert.“ Höflich, auch wenn es wehtut, dass China erstmals mehr Medaillen hat als die USA.

Anerkennung mischt sich mit Angst, Überheblichkeit mit Unsicherheit. Und über allem steht die Systemfrage. „Bei uns ist das Züchten von Athleten eben kein Staatsziel“, verteidigen sich Sportfunktionäre. In vielen Zeitungsberichten schwingt oberlehrerhaft mit, dass „bei uns“ der Sport privatwirtschaftlich gefördert wird, aber in einem „freien Land“ niemand Dreijährige auf den Stufenbarren zwingt und nur „kommunistische Diktatoren“ Erwachsene in abgeriegelten Camps auf Gold drillen.

Mit den Spielen haben die Amerikaner mehr über China erfahren als je zuvor. Sie wissen jetzt, dass es Tibet, Umweltprobleme, Zensur, Einreiseverbot gibt. „Aber ich glaube, in der Wahrnehmung überwiegen nicht neue Informationen, sondern alte Stereotype“, meint Politologin Laurie Dundon.

„Perfekt organisiert“, lobt ein Fernsehzuschauer in der Lucky Sports Bar in Washington. „Perfekt manipuliert“, ätzt ein anderer und meint damit nicht nur die vorfabrizierten Bilder des Eröffnungsfeuerwerks. Vor allem die Masse Mensch, „perfekt kontrolliert und synchronisiert“, beeindruckt die Sportreporter; aber nie vergessen sie zu erwähnen, dass der größte, beste, wunderbarste Individualist dieser Spiele eben doch ein Amerikaner ist. Keine Woche hat es gedauert, bis Michael Phelps die Cornflakespackungen in ein achtfaches Goldbad taucht. Offenbar vorfabriziert.

Der Pragmatismus der China-Hasser

AUS TOKIO CHIKAKO YAMAMOTO

Olympia beim großen Nachbarn – man hätte annehmen können, dass die Spiele in Japan für Zündstoff sorgen. Man hätte eifersüchtig sein können. Man hätte sich wünschen können, dass es in Peking möglichst viele Probleme gäbe. Doch nichts dergleichen.

Die meisten Japaner gehen mit den Spielen pragmatisch um. Sie wissen, dass ihre Beziehung zu China derzeit durch die Geschichte, den Streit um Ölfelder und den Nationalismus auf beiden Seiten belastet ist. Mit Olympia hat das für sie nichts zu tun. Sie wissen auch, dass ihre Medien aus Anlass der Spiele vor allem über die Schattenseiten berichten: vom Smog, von vergifteten Lebensmitteln, von Menschenrechtsverletzungen in China. Aber das ist alles nichts Neues, das kann das eigene China-Bild nicht erschüttern. In Wirklichkeit entdeckte man mit Blick auf die Olympischen Spiele kaum neue Themen.

Chinas allgemeine sportliche Überlegenheit in Asien wird in Japan seit langem neidlos anerkannt. Um mit China im Medaillenwettbewerb mitzuhalten, gibt es für Japan nicht mehr den Hauch einer Chance. Deshalb existiert auch kein Konkurrenzgefühl mehr. Sensibel ist man nur, wenn die japanischen Sportler in China schlecht behandelt werden. Das war diesmal nicht so auffällig. Neben den üblichen Buhrufen gab es sogar gelegentlich Applaus für japanische Olympioniken vom chinesischen Publikum. Zudem wissen die japanischen Sportler mittlerweile, was sie in China erwartet. Tatsächlich hat sich diesmal kein japanischer Olympiateilnehmer über das Publikum oder die Behandlung in China beschwert. Auch die japanische Berichterstattung über die chinesischen Sportler war neutral.

Nur einer ließ sich scheinbar beeindrucken: Shintaro Ishihara, Gouverneur von Tokio und Japans berühmtester China-Hasser. Er hatte aus seiner China-Verachtung bislang nie einen Hehl gemacht, sogar zum Boykott der Spiele in Peking aufgerufen. Doch jetzt nahm er an der Eröffnungsfeier in Peking teil und kam voller Lob zurück. Sein Ziel: Er will die Olympischen Spiele 2016 nach Tokio holen. Insofern reagierte auch er nur pragmatisch.

Brasilien träumt von Rio 2016

AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER

Dass sich Brasilien im Olympiataumel befinde, lässt sich wirklich nicht behaupten. Trotz breiter medialer Berieselung fiebert das Volk nur selten wirklich mit – so bei der unglücklichen 0:1-Endspielniederlage der Fußballerinnen gegen die US-Damen. Mit bislang elf Medaillen, darunter zwei goldenen, dümpeln die gelb-grünen AthletInnen wie gewohnt bescheiden im Mittelfeld.

Und doch ist diesmal etwas anders. Mit dem aufstrebenden Schwellenland China hat die südamerikanische Regionalmacht Etliches gemeinsam, worauf Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Lula genannt, immer wieder gerne hinweist. Auch Brasilien möchte sich als Global Player positionieren, und dabei ist es in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen.

Die Prestigeveranstaltung Olympia ist ein Baustein in dieser Strategie. Vorgestern stieg Fußball-Legende Pelé als Botschafter für Rio de Janeiro in den Ring. Die Metropole am Zuckerhut hat es zusammen mit Tokio, Madrid und Chicago unter die letzten vier Bewerber für die Sommerspiele 2016 geschafft, die Entscheidung fällt im Oktober 2009. „Brasilien ist zum Sport berufen“, schwärmte Pelé, „die Wirtschaft, die normalerweise Sorgen macht, steht auch gut da. Wir sind bereit.“

Bereits vor der Eröffnungsfeier in Peking war Lula in die Offensive gegangen: „Vor zehn Jahren hätte man auch nicht gedacht, dass die Chinesen in der Lage gewesen wären, die Spiele zu organisieren.“ Brasilien wolle Olympische Spiele „für die Armen“ organisieren, versprach der Volkstribun, der selber aus einfachsten Verhältnissen stammt. Aus den Nachbarstaaten würden die Massen an die Copacabana ziehen, und auch die Kosten in Milliardenhöhe seien kein Problem: „Man muss immer darauf achten, was für das Volk übrigbleibt.“

Gerade dieser Punkt jagt Skeptikern Schauer über den Rücken. Die Panamerikanischen Spiele in Rio 2007 waren neunmal so teuer wie geplant, die dauerhaften Erträge bescheiden. Egal. Arataca Loureiro Gomes, Trainer der brasilianischen Leichtathleten, verrät der taz, warum Brasilien zwei Jahre nach der Fußball-WM auch Olympia ausrichten wird: „Die nächsten Spiele sind in London, schlechte Karten also für Madrid. Gleiches gilt für Tokio. Bleibt Chicago – doch die Amis hatten die Sommerspiele schon vier Mal, und in Rio gibt es keine Terrorismusgefahr. Schließlich haben wir João Havelange.“ Der 92-jährige Olympiateilnehmer von 1936 und Ex-Fifa-Chef weilt gerade in Peking und zieht auch im IOC viele Strippen – und das seit 45 Jahren.

Der Ruck Richtung Westen

AUS PEKING GEORG BLUME

Das Ende der Spiele ist in Sicht. Die zensierte, aber relativ kritische chinesische Wochenzeitung Nanfang Zhoumo zieht Bilanz: „Aus historischer Perspektive wird nicht der gute Platz auf dem Medaillenspiegel oder die Präsentation eines neuen Chinabildes der wichtigste Erfolg sein“, schreibt das Blatt. Der eigentliche Erfolg der Spiele habe mit den acht Goldmedaillen des amerikanischen Schwimmers Michael Phelps zu tun. Den Chinesen wäre durch ihn der Wert des Individuums beim Sport begegnet. „Der Kernwert des Sportgeists wird vom einzelnen Menschen verkörpert“, heißt es im Leitartikel der Zeitung – ein Plädoyer also für den westlichen Individualismus, der in Gestalt der großen westlichen Sportstars mit den Olympischen Spielen in China Einzug gehalten habe.

Das ist jetzt die liberale und vorherrschende Lesart der Spiele: dass sie China doch einen Ruck gegeben haben – in Richtung Westen. Auch Chinas bekanntester Rockmusiker Cui Jian sieht das so: „Olympia hat die westliche Konsumkultur in China gestärkt. Sie verändert wirklich unser Leben“, sagt Cui, der heute eines seiner seltenen Konzerte in Peking geben wird. Cui schrieb einst die Protesthymnen der Studentenrevolte von 1989. Er gilt als Vater der chinesischen Rockmusik, und seine Auftritte waren in der Hauptstadt lange Zeit verboten. Heute nicht mehr, auch nicht während der Spiele, als andere Konzerte anderer Künstler zum Teil untersagt waren. Cui lobt den alltäglichen Einfluss des Westens in China: „Alles, was wir brauchen, ist vom Westen. Alle Labels, alle Marken. Insofern waren die Olympischen Spiele eine Chance für jedermann in China. Mindestens 51 Prozent an ihnen war positiv für die Chinesen.“

Eine zweite, konservative Lesart der Spiele stärkt das nationale Selbstbewusstsein. Für sie steht der populäre Fernsehmoderator Bai Yansong vom Staatssender CCTV. Bai erinnert sich an die Spiele in Sydney vor acht Jahren, bei denen er noch sehr empfindlich auf westliche Kritik an China reagiert habe. „Durch die Spiele in Peking ist China entsensibilisiert worden. Es sieht jetzt auch aus wie ein großes Land.“ Bai umschreibt damit die Überwindung des alten chinesischen Minderwertigkeitskomplexes gegenüber dem Westen. Die Medaillenflut zeige China endlich auch vor aller Welt als das große Land, das es in Wirklichkeit immer war.

Wir wollen auch! Aber können wir’s?

AUS DELHI SASCHA ZASTIRAL

Indien und China: Wenn es um neue, aufstrebende Wirtschaftsmächte geht, fallen diese Namen immer gemeinsam. Kein Wunder also, dass in Indien immer sehr genau darauf geachtet wird, was sich beim großen Nachbarn im Norden abspielt. Besonders bei den Olympischen Spielen. Denn die lösen in Indien äußerst gemischte Gefühle aus.

Das von der Führung in Peking durch massive PR entworfene China-Bild verfehlt seine Wirkung nicht: Glitzernde Skylines, moderne Städte und ein nicht mehr aufzuhaltender Aufschwung. Angesichts dieser glamourösen Selbstdarstellung schaut Indien besonders beschämt auf seine brüchigen Straßen, das ewige Chaos und das kaum kleiner gewordene Millionenheer der Armen.

Doch auf eines ist Indien ausnahmslos stolz: Trotz allem ist es eine Demokratie – China nicht. Daher entzündete sich vor den Olympischen Spielen eine massive Debatte darüber, ob Indien sie nicht wegen der Menschenrechtsverletzungen in Tibet boykottieren sollte. Baichung Bhutia, Kapitän der indischen Fußballnationalmannschaft, war der erste Sportler weltweit, der seine Teilnahme am Fackellauf deswegen absagte. Während sich die Debatte über Monate zog, unternahm die Regierung in Delhi alles, damit kein Schatten auf die Olympischen Spiele und damit auf die mühevoll verbesserten Beziehungen zum Nachbarn China fiel. Proteste von Exiltibetern wurden klein gehalten, mehrfach nahm die Polizei Aktivisten fest. Der Fackellauf durch die Hauptstadt Delhi wurde aus Sorge vor Protesten auf gerade einmal zwei Kilometer verkürzt, die Strecke von 15.000 Polizisten hermetisch abgeriegelt. China zeigte sich hochzufrieden und bedankte sich für so viel Engagement.

Die Debatte der vergangenen Monate ist mittlerweile jedoch abgeflaut. Kein indischer Sportler hat letztlich die Spiele boykottiert oder protestiert. Stattdessen herrscht Begeisterung über den reibungslosen Ablauf der Spiele, Bewunderung für die futuristische Architektur und für die eindrucksvolle Eröffnungszeremonie. Auch die über Indiens Sportler hereinbrechende „Medaillenflut“ (einmal Gold, einmal Bronze) lässt alle Diskussionen vergessen.

Doch die Diskussionen und der Selbstvergleich mit China werden spätestens nach Olympia-Ende wieder einsetzen. Denn Indien möchte sich für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2020 bewerben. Schon jetzt fragen einige Zeitungen, ob das Land überhaupt in der Lage wäre, so ein Großereignis auszurichten.

Wie? Die Spiele sind in Peking?

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

Kenianer befinden sich dieser Tage im olympischen Freudentaumel. „Wir sind Olympia“, grölt ein Gast in einer der Kneipen, die derzeit kaum etwas anderes zeigen als die Livebilder aus Peking. Nur Leichtathletik, versteht sich. Immerhin zwei Goldmedaillen hat Kenia sich bisher gesichert, viermal Silber, zweimal Bronze. Für ein Land, das sonst wenig zu feiern hat, ist das enorm.

In den Zeitungen überbieten sich Kommentatoren darin, die Erfolge des kenianischen Teams als Zeichen für die Heilung eines Landes zu deuten, das noch Anfang des Jahres von ethnischen Kämpfen zerrissen wurde. Tatsächlich: Auch vor dem Großbildschirm sieht man sich – nach der dritten oder vierten Flasche Tusker-Bier – kollektiv als Sieger, egal ob Kikuyu oder Luo: „Lass sein mit der Politik, endlich ist mal was anderes“, lallt einer der Sportbegeisterten.

Für Kenianer, die das Prinzip des amerikanischen Traums im eigenen Land mehr verinnerlicht haben als irgendjemand sonst in Afrika, sind die Olympischen Spiele auch der Beweis, dass die Ärmsten es schaffen können. 800-Meter-Siegerin Pamela Jelimo etwa stammt aus dem kleinen Dörfchen Kaptamok im nördlichen Rift Valley. Ihre Eltern, Kleinbauern, leben mit ihren acht anderen Kindern in einem fensterlosen Häuschen mit Wellblechdach. Darüber, dass die 18-Jährige beinahe in die USA ausgewandert wäre, sich dann aber doch für einen Job bei Kenias Polizei und eine Sportkarriere in der Heimat entschieden hat, berichten Kenias Medien genauso ausführlich wie darüber, wie viel Preisgeld sie mit nach Hause bringen wird: 7.500 Euro, für die meisten Kenianer sind das mehrere Jahreseinkommen. Dass ein Bauernmädchen das vollbracht hat, nährt die Hoffnung der Arbeitslosen und Enttäuschten, die auf ein ähnliches Wunder warten.

Dass „Kenias“ Spiele in China stattfinden, ist kaum ein Thema. „Ich dachte, die wären in Peking“, wundert sich ein Fernsehzuschauer. Darfur, Tibet, Angst vor einer chinesischen „Invasion“ in Afrika: All das ist im Zusammenhang mit den Spielen kein Thema. Im Gegenteil: Medaillenmäßig ist China Kenia schließlich unterlegen. Statt des Gesamtmedaillenspiegels liest man schließlich hier nur den der Leichtathleten. Da steht Kenia auf Platz 4, hinter Jamaika, Russland und den USA und vor Erzrivale Äthiopien. China taucht in der Top 10 gar nicht auf.

Big Ben mit großen Brüsten

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Erfolg macht blind. Der unerwartete Medaillensegen für das britische Team hat Bedenken wegen der Menschenrechtsverletzungen in China in den Hintergrund gedrängt. Sicher, man bedauert die Christenverfolgung sowie die Beschlagnahmung von 315 Bibeln, die vier US-amerikanische Christen im Gepäck hatten. Auch die neue chinesische Mauer, nämlich die Internet-Firewall, die missliebige Webseiten blockiert, ist ärgerlich. Aber stammt die Technologie dafür nicht aus dem Westen, und zwar von den Firmen, die in den Wettkampfpausen Werbespots ausstrahlen?

Der Journalist Brendan O’Neill argumentierte in seiner Rede auf der Konferenz „Battle for China“, die vom Londoner Institute of Ideas organisiert worden war, dass die westlichen Regierungen keinen Grund haben, sich über Menschenrechtsverletzungen in China aufzuregen. Der Respekt für Freiheit sei in Europa und den USA auf einem historischen Tiefstand, sagte er. Man denke an die Internierung von Verdächtigen für 42 Tage, das Ausspionieren durch Überwachungskameras, das Mitlesen von E-Mails und die Einführung neuer „gedanklicher Verbrechen“.

Und schließlich sei die Eröffnungsfeier der Spiele nicht zu verachten gewesen. Allerdings hätte man den Tänzerinnen vermutlich einen Knieschuss verpasst, wenn ihnen bei der Eröffnungszeremonie drei falsche Schritte unterlaufen wären, sinniert Guardian-Kolumnist Charlie Brooker. „Ich bin zwar kein Patriot, aber mir wird bange um unseren Nationalstolz, wenn ich an die Londoner Spiele 2012 denke“, schreibt er. „Wie zum Teufel sollen wir eine noch bessere Feier auf die Beine stellen? Wir können genauso gut einzeln ins Stadion marschieren, unsere Hosen herunterlassen und der Welt unsere Arschbacken zeigen.“

Aber Brooker schöpft Hoffnung, da die Feier in Peking eine Lüge war: Computer-Images und ein niedliches Mädchen, das lediglich die Lippen bewegte, während Aschenputtel aus dem Off sang. Auch die Wettkampfkulissen sind nicht immer echt, Jubelperser werden bei weniger besuchten Events ins Stadion gekarrt. Erstaunt ist Brooker aber über die Taktik der Chinesen. Selbst ein Sechsjähriger wisse, dass man an einer Lüge festhalten müsse. Aber die Chinesen hätten bei der ersten Nachfrage die Manipulationen zugegeben.

Die aber könnten eine Blaupause für London 2012 sein. Brooker schlägt für die Eröffnungsfeier einen genetisch verbesserten Big Ben mit großen Brüsten vor – während ein Vulkan auf der Themse die Olympia-Ringe ausspuckt.

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