: Pakistans Taliban machen sich unbeliebt
Die Armee geht in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan massiv gegen Islamisten und Taliban vor. Als Vorbild dient der Einsatz der US-Streitkräfte im Irak. Noch kontrollieren die Taliban die Hälfte der Grenzprovinzen
DELHI taz ■ Lange schien die zivile Regierung in Islamabad unschlüssig, wie sie mit den Islamistenmilizen und Taliban im Grenzgebiet zu Afghanistan verfahren sollte. Friedensverhandlungen mit den Fanatikern seit März und ein Abzug der Armee aus der Region führten dazu, dass die Islamisten ihre Machtbasis ausbauten und weitere Gebiete unter ihre Kontrolle brachten. Zugleich übte Washington immer mehr Druck auf Islamabad aus, Nato-Operationen auf pakistanischem Territorium zuzulassen. Erst am Donnerstag begab sich Armeechef Ashfaq Kayani zu einem Geheimtreffen mit der Führung der US-Streitkräfte in der Region auf einen US-Flugzeugträger, der seit einem Monat im Indischen Ozean stationiert ist.
Nun scheint Pakistans Armee das Heft des Handelns in die Hand genommen zu haben. Seit Mitte Juli gehen Soldaten massiv gegen Islamisten in der nördlich Bajaur-Stammesregion vor. 300.000 Menschen sind vor den Kämpfen geflohen. Vor einigen Tagen erklärte die Regierung den größten Zusammenschluss islamistischer Fanatiker, die Tehrik-e-Taliban (TTP), offiziell zur terroristischen Vereinigung, mit der fortan nicht mehr verhandelt werde. Verhandlungen werde es nur noch mit jenen Milizen geben, die ihre Waffen niederlegten und ihre Gebiete unter die Oberhoheit Islamabads stellten.
Die Islamisten haben inzwischen rund die Hälfte der Stammesregionen an der Grenze zu Afghanistan unter ihre Kontrolle gebracht. Bei ihrem Eroberungsfeldzug nehmen die selbst ernannten „Pakistanischen Taliban“ eine Schlüsselrolle ein. Der Dachverband von mehr als 40 Islamistengruppen, der sich im Dezember des vergangenen Jahres unter dem Islamistenführer Baitullah Mehsud gebildet hat, begann, einen eigenen Staat nach dem Vorbild der afghanischen Taliban aufzubauen. Die Fanatiker entführten und töteten Politiker und Stammesführer, überfielen Versorgungskonvois der US-geführten Truppen auf dem Weg nach Afghanistan und setzten in ihren Gebieten Scharia-Gerichte ein. Mehr als 180 Schulen für Mädchen brannten die Fanatiker nieder. Wie im vergangenen Jahr kam es wieder beinahe jeden Tag zu Anschlägen auf pakistanische Sicherheitskräfte.
Dennoch konnte Islamabad während der Feuerpause im Frühjahr einige Erfolge erzielen. Der Regierung ist es in dieser Zeit gelungen, die überwiegend paschtunischen Stämme der Region davon zu überzeugen, dass jegliches militärisches Vorgehen in ihren Gebieten nicht gegen sie, sondern gegen die islamistischen Fanatiker gerichtet ist. Im vergangenen Jahr war es nach einem überhasteten Einmarsch der Armee in die Region zu einem Aufstand gegen Islamabad gekommen. Etliche Zivilisten waren zwischen die Fronten geraten und ums Leben gekommen. Mehrere Stämme griffen zu den Waffen und gingen gegen die Regierungstruppen vor.
Ähnliches droht jetzt nicht. Im Gegenteil. Mehrere Stämme haben begonnen, die Islamisten mit ihren Milizen von ihren Gebieten zu vertreiben. Denn die häufig aus dem Ausland stammenden Fanatiker haben in der Region kaum Unterstützer.
Das Center for Research and Security Studies (CRSS), ein vor wenigen Monaten gegründetes, unabhängiges Forschungsinstitut in Islamabad, hat erst kürzlich Umfragen in den Stammesgebieten durchgeführt. Die Forscher waren überrascht, wie eindeutig das Ergebnis ausfiel. „Mehr als 99 Prozent der Menschen dort sind gegen die Taliban und deren Forderungen“, sagt CRSS-Direktor Farrukh Saleem. Bei Fragen zur Weltanschauung oder Schulbildung für ihre Töchter hätten sich die Menschen als „überwältigend liberal“ erwiesen. „Die Islamisten und eine verschwindend kleine, radikale Minderheit halten in den Stammesgebieten die absolute Mehrheit der Menschen als Geiseln“, erklärt Saleem. Daher sei es jetzt entscheidend, die Stammesmilizen gegen die Fanatiker zu unterstützen, wie es den USA im Irak gelungen sei. Dort haben sich mehrere sunnitische Milizen, die anfangs gegen die US-Truppen kämpften, mittlerweile an die Seite der US-Armee gestellt und gehen gegen die militanten Islamisten vor. „Das muss Pakistan nun auch mit den Stämmen im Nordwesten bewerkstelligen.“ SASCHA ZASTIRAL
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