: „Eine längere Debatte über Inhalte hätte uns gutgetan“
Die sächsische Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau bedauert den Rückzug Volker Ratzmanns und erwartet von Cem Özdemir neue Impulse für die Partei
ANTJE HERMENAU, 44, ist Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag.
taz: Frau Hermenau, Sie haben sich auf eine Art Wahlkampf um den Job des Parteivorsitzenden gefreut. Traurig, dass es dazu nicht kommen wird?
Antje Hermenau: Ja, eine längere Debatte über Inhalte hätte uns sicher gutgetan. Die Partei hat große Lust, zu diskutieren. Deshalb fände ich es schön, wenn Claudia Roth – wie Cem Özdemir – einige Landesverbände besuchen würde. Linke wie Reformer könnten ihre Ideen vorstellen.
Was halten Sie davon, dass Volker Ratzmann wegen der Geburt eines Kindes seine Kandidatur zurückzieht?
Im Frühjahr gab es ja eine harte Auseinandersetzung darüber, ob die Gründung einer Familie als Begründung herhalten kann, sich für oder gegen einen Karriereschritt zu entscheiden. Mit Volker Ratzmanns Entscheidung ist diese dämliche Debatte nun zu Ende. Ich finde es gut und vernünftig, wie er entschieden hat: So kann Kerstin Andreae ihre politische Karriere weiterführen. Den beiden wünsche ich alles Gute. Ich weiß, was das bedeutet: Im Dezember wird mein Sohn zwei Jahre alt.
Ist Özdemir nach vier Jahren als EU-Parlamentarier im fernen Brüssel der Richtige, um den harten Bundestagswahlkampf zu bestreiten?
Auf jeden Fall. Die Wahlkampfdetails sind bei Jürgen Trittin und Renate Künast in guten Händen. Aber daneben kommt es darauf an, uns weiterzuentwickeln. Da ist Cem Özdemir, der einen ordentlichen Blick über den deutschen Tellerrand gewagt hat, eine große Hilfe.
Was wird Özdemirs Hauptaufgabe sein?
Zuerst natürlich Wahlkampf. Das ist das Tagesgeschäft. Darüber hinaus brauchen wir in Deutschland neue politische Visionen. Nächstes Jahr liegt die Wende bereits 20 Jahre zurück, dennoch drehen wir uns immer noch um unseren innerdeutschen Bauchnabel. Das ist nur noch peinlich. Die Grünen müssen mithelfen, das zu ändern.
Ein Parteichef Cem Özdemir wird auch viele bürgerliche Wähler ansprechen…
Das muss ja kein Fehler sein.
Aber befeuert seine Wahl Spekulationen über Schwarz-Grün im Bund?
Befeuert die Kandidatur von Claudia Roth die Spekulationen über Rot-Rot-Grün im Bund?
Die erklärte Nähe vieler Grünen zur CDU ist größer als die zur Linkspartei.
Schwarz-Grün ist ja keine Legende mehr, sondern in Hamburg jetzt im Praxistest.
Eben.
Und da müssen wir erst mal schauen, was dieser Test bringt, bevor wir zu kühn werden.
INTERVIEW: MATTHIAS LOHRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen