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meine zeit mit elvis von JAN ULLRICH

Ich lernte Elvis kennen, als er mich im Brautkleid meiner Mutter um die Hand meines Vaters bat. Leider musste ich seinen Antrag ablehnen. Zwar war mein Vater der Rock-’n’-Roll-Musik gegenüber aufgeschlossen, doch beim Hören von „Love me tender“, „Are you lonesome tonight?“ und „Let me be your teddybear“ war es zu Schlingpflanzenbewuchs unter seinen Achseln gekommen. Außerdem konnte er den Buchstaben „p“ nicht mehr aussprechen, ohne auszusehen wie ein Rebhuhn, das in eine automatische Rupfmaschine geraten ist. Seitdem war mein Vater Bill-Haley-Fan. Keine Chance für Elvis also – und das Brautkleid meiner Mutter musste er auch wieder zurückgeben.

Es dauerte einige Jahre, bis ich Elvis wiedertraf. Ich arbeitete damals als Kabelträger bei „Das große Sommerfest der asiatischen Philosophie“, moderiert von Laotse (dargestellt von Jan Hofer), Konfuzius (dargestellt von Jens Riewa) und Carolin Reiber (dargestellt von Marianne und Michael), deren Erlös der Überwindung der fünf Hemmnisse, dem Durchschreiten der vier Versenkungen und der Auflösung in nichts zugute kommen sollte.

Elvis trat als Kellner in einem Restaurant-Sketch mit Dagmar Berghoff (gespielt von Laotse) und Marianne und Michael (gespielt von Konfuzius) auf, in dem es aufgrund einer vertauschten Bestellung zu allerlei lustigen Verwechslungen kommt. Elvis’ Pointe war „Sind das Ihre eigenen Zähne?“, wobei er Dagmar Berghoff ziemlich lange angucken sollte. Außerdem verkörperte er noch die Seelenzustände „Zorn“ und „Mut“ in der großen Abschlussallegorie am Ende der Show.

„Gehen wir noch auf’n Bier?“, fragte er mich danach. Wir diskutierten die ganze Nacht heftig über die „Blaue Periode“ Picassos, wobei sich Elvis als absoluter Fachmann erwies. „Die in die Vertikale gestreckten Körper erinnern auch hinsichtlich des verklärten Ausdrucks an die Heiligenbilder El Grecos“, sagte er kennerisch und nippte an seinem Absinth. Dann präsentierte er mir seine neue Idee für Feinstrumpfhosen, die man auch als Fliegengitter benutzen kann. „Der Knüller vor allem für den skandinavischen Raum!“, zeigte er sich überzeugt und bezahlte unsere gemeinsame Rechnung.

Viele wissen es: Das Schicksal hat es nicht immer gut gemeint mit Elvis: Der schmähliche Rausschmiss aus der „Innung der Hersteller skandinavischer Feinstrumpfhosen“ und der nie ganz entkräftete Vorwurf, er habe Picassos gefälscht und in Umlauf gebracht, setzten ihm zu.

Inzwischen konzentriert sich Elvis ganz auf den Volkshochschulkurs „Tischlern und töpfern“. Heute zieren ein Regal, eine Sitzgruppe und mehrere Aschenbecher aus Ton seine Wohnung – und alles hat Elvis selbst gemacht. Beruflich geht es wieder aufwärts, auch wenn der Versuch des ZDF, ihn als Nachfolger von Wolfgang Völz aufzubauen, fehlschlug. Stattdessen ist Elvis wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. „Shake, rattle and roll“, „Tutti frutti“ und „Jailhouse Rock“ dröhnt es durch die Flure der Altentagesstätten von Passau bis Greifswald. Dazu trägt er das Brautkleid meiner Mutter.

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