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Die Schönheit vor dem Schnitt

1955 drehte Max Ophüls „Lola Montez“ mit dem damals sehr hohen Budget von sieben Millionen Mark. Doch erinnert wird der Film weder als Klassiker noch als Pleite. Die Autoren Martina Müller und Werner Dütsch haben ihm jetzt ein Buch gewidmet

Indem Ophüls das Budget überzog, schaffte er der Imagination Raum

von HARUN FAROCKI

Das Buch ist mit Liebe und Mühe gemacht. 296 Seiten, viele Fotos, davon 105 im Cinemascope-Format und in Farbe, in schwarzes Leinen gebunden. So viel wird kaum je für ein Filmbuch aufgewandt und höchstens für eines zu einem Klassiker. Aber das ist „Lola Montez“ von Max Ophüls nicht. Es ist nicht einmal sicher, dass dieser Film erinnert wird, wenn es um die wenigen Produktionen geht, die aus dem Deutschland der Nachkriegs- und Adenauerzeit herausragen.

Das Buch ist keine Streitschrift, die dem Film ausdrücklich die Anerkennung erkämpfen will, die er verdiente. Die verschaffen ihm Werner Dütsch und Martina Müller viel nachhaltiger, indem sie ihrem Gegenstand wohl bedachte Aufmerksamkeit im Tonfall größter Selbstverständlichkeit widmen, wie der Hauptfigur in einem Roman. Und wie in der literarischen Fiktion erschaffen sie damit eine Parallelwelt, in der dieser Film glänzt. Ophüls erzählte seine Geschichte unter Einsatz von viel Geld und Technik, ohne sie dabei aufzublasen, und in ebendieser Kunst folgen ihm die Autoren Müller und Dütsch mit ihrem Buch.

Als der Film, eine deutsch-französische Koproduktion, Ende 1955 in Paris und Anfang 1956 in München herauskam, waren die Produktionsfirmen hoch verschuldet und bald darauf bankrott. Der Film hatte sieben Millionen Mark gekostet und war damit der teuerste im Deutschland nach dem Kriege – die spielte er bei weitem nicht ein. Aus Hilflosigkeit oder Bosheit wurde er bald neu synchronisiert und immer wieder gekürzt, von zunächst 113 Minuten auf 110, auf 91, schließlich, in den USA, auf 75 Minuten. Es blieb diesem Film sogar versagt, als große Pleite erinnert zu werden.

Das viele Produktionsgeld wurde aufgebracht wegen der Hauptdarstellerin Martine Carol, seit 1951 erfolgreich in Kostümfilmen „mit einer sexuell bedenkenlosen Heldin und den damals vor allem in Deutschland bescheidenen Möglichkeiten ihrer Entkleidung“, wie Müller und Dütsch schreiben.

Ophüls stellte mit einer Szene besonders klar, dass er die Serie der sexuellen Bedenkenlosigkeit und der bescheidenen Möglichkeiten nicht fortsetzen wollte. „Wenn sie vor dem Bayernkönig Ludwig I. die vielversprechende Korsage aufreißt, um ihn von ihrer Eignung fürs Ballett zu überzeugen, schwenkt die Kamera hastig auf den Rücken der Dame, und der lakonische Ruf des Königs nach ‚Nadel und Faden‘ eilt wie ein Kettenecho über Treppen und Gänge des Schlosses“, so Karena Niehoff in einer Kritik im Tagesspiegel.

Ophüls im Exposé: „Sie greift nach dem Papiermesser, das auf dem Schreibtisch liegt, und beginnt das Kleid aufzuschneiden. Genau so schnell SCHNEIDEN WIR, noch ehe man etwas richtig sieht, zum Vorzimmer.“

Mit dem Messer, das nicht ins Spiel kam, haben wir die Idee des Tyrannenmordes, im nächsten Augenblick die der Selbstzerstörung, man müsste fürchten, Blut zu sehen in Erwartung von Nacktheit. Die „Hatchiere, Lakaien und Kammerzofen“ (Müller/Dütsch), die nach Nadel und Faden rufen und laufen, künden nicht von der Macht des Königs, eher davon, dass die begehrenswerte Frau an seine Stelle rückt, wenn die politische Herrschaft entzaubert ist.

Man gab Ophüls das viele Produktionsgeld, um die Schaulust auf Martine Carol seriös zu machen. Wenn er nichts „richtig“ zeigen wollte, so musste das Geld dafür entschädigen.

Im Buch ist das Plakat zu der US-Fassung, „The Sins of Lola Montès“, wiedergegeben, mit der merkwürdigen Angabe: Produced by Max Ophüls. Das Werbemittel zu der am stärksten beschnittenen Fassung zeigt, wovon Ophüls schnell wegschneiden wollte. Während Lola Montez im Film energisch ihre Macht ausspielt, indem sie ihr Kleid aufreißt, lächelt sie auf dem Plakat gewinnend, ihre Hände sind nicht in Aktion zu sehen, sondern liegen am Körper an, um den Augenblick zu verewigen.

Zu solchen Studien lädt das Buch mit seinen reichen und sehr verschiedenen Materialien ein. Ein besonderes Vergnügen sind die Stills aus der Kopie, die etwas von der Transparenz einer Projektion wiedergeben. Es bietet sich an, die sorgfältig dokumentierten Änderungen nach der Premiere – Abweichungen bei der Synchronisation, weggelassene Sätze, Bilder, die herausgeschnitten wurden, weil die Personen weit am Rand standen und bei falscher Projektion nicht zu sehen waren – nicht nur als Geschichte einer Zerstörung zu lesen. Vielmehr als Varianten, die, miteinander in Vergleich gesetzt, die Motive und Ideen des Films erschließen helfen. Die Geschichte der Lola Montez war zum Zeitpunkt der Filmherstellung schon hundert Jahre in Umlauf, und etwas von der Fortsetzungs- und Wiederholungslust ihres Aufstiegs und Niedergangs wirkt im Sprechen über den Film, seine Herstellung und Aufnahme, fort.

Vom ersten Entwurf an stand für Ophüls fest, die Geschichte einer Lola zu erzählen, die an der Verwertung der Geschichte ihres Lebens mitwirkt. „Am Ende eines bewegten Lebens spielt und mimt Lola Montès in einem amerikanischen Zirkus ihre ‚Passion‘, das heißt, einige Episoden aus einem Leidensweg der Gefühle, der seinesgleichen sucht“, schrieb François Truffaut. In einer Kritik in Le Monde hieß es: „Dieser Zirkus ist tatsächlich die Hölle. Die Hölle für Lola Montès, die erniedrigt, verhöhnt und dazu verurteilt ist, sich der Menge zu verkaufen, weil sie das Vergnügen und den Reichtum zu sehr geliebt hat … Und dieser despotische Spielleiter (bewundernswert dargestellt von Peter Ustinov), der sie mit der Peitsche in der Hand dirigiert, ist kein anderer als der Teufel.“

Martina Müller hat sich über viele Jahre mit Ophüls und diesem Film beschäftigt, ist Bankbelege durchgegangen und Drehpläne, hat mit vielen der am Film Beteiligten Gespräche oder Korrespondenzen geführt, davon ist vieles im Buch dokumentiert. Es kann den beiden Autoren nicht leicht gefallen sein, aus diesem Wissensschatz jeweils die Wahl so zu treffen, dass das viele Wissen im Hintergrund als Strahlung gegenwärtig bleibt.

„Zum Glück erforderte die Einrichtung der Szene für Ophüls und seine Assistenten mehrere Stunden und auch (der Chef-Kameramann) Matras brauchte nicht wenig Zeit, um das immense Dekor auszuleuchten. So hatte ich Zeit, in der Stadt an die fünfzig Meter Packleinen zu kaufen, in der Farbe, die dem Sand der Arena entsprach. Zwei Bühnenarbeiter haben den Stoff vor dem zurückfahrenden Kamerawagen abgerollt, um die Schienen abzudecken. Eine Tarnung, die man auf der Leinwand sieht, wenn man es weiß, aber es ging.“ Ein Zeugnis von Alain Douarinou, dem 2. Kamera-mann. Auf den Photogrammen im Buch sind die Schienen unter dem Leinen deutlich zu erkennen, was mir in über dreißig Jahren nicht aufgefallen ist.

Es geht hier um die erste Einstellung im Film, und es ist merkwürdig, dass der Planungsstab den sonstigen Aufwand an Darstellern und Kostümen bedachte, nicht aber, dass die Schienen für die Rückfahrt das ganze Bild durchziehen müssten. Als hätten auch die Producer vor Lola den Kopf verloren, „Zerfetzte Herzen, vergeudete Vermögen“, als sei die Bavaria ein umständlicher Hofstaat, in dem Dutzende nach Nadel und Faden riefen und liefen. Im Zirkus zeigt man den Umbau und macht ihn zum Teil der Darbietung, und es stellt sich die Frage, was die kinematografische Entsprechung dazu sein kann. Wahrscheinlich müsste der Film zeigen, wie choreografierte Pagen die Schienen mit wunderbarem Schwung abdecken.

Das Geld sollte dazu dienen, die Schaulust auf Martine Carol seriös zu machen

Ophüls machte den Spielleiter Ustinov zur Erzählstimme, die durch den Film führt, selbst in Rückblenden eingreift: „Der Maler malt, solange er kann, / von Malen zu Malen hat sie weniger an. / Das Herz des Königs wird von Liebe erfasst, / und er schenkt ihr einen kleinen Palast.“

Das Moritatenhafte in Wort und Bild, mit Keulen jonglierende Lola-Ballette, allegorische Darstellung von Lolas Aufstieg als Seil-Nummer, Pagen, die mit einem Lola-Kopf auf der Stange Geld einsammeln: Diese Sprache macht kenntlich, wie sehr sie veräußerlicht und fragmentiert. Aufs Dramatischste wird das Gefühl kurz erregt, nach jedem Ausbruch aber geht der Sinn aufs Innerliche und Ganze.

„Ophüls interessieren offensichtlich weniger die starken Momente der Handlung als das, was dazwischen passiert“ (Truffaut). „Während er die Wahl zwischen zwanzig wichtigen Episoden hatte, von denen jede als Material für einen Film gereicht hätte, scheint der Filmemacher ihren paradoxen Teil gewählt zu haben, um die Episoden nur zu streifen und sie uns als Nebensache zu zeigen. Herausragende historisch getreue Nachbildungen, die eine enorme Anstrengung der Inszenierung voraussetzen, dienen so nur der Hervorhebung eines unbedeutenden Zwischenfalls, der dem wesentlichen Ereignis vorausgeht oder folgt. Über dieses merkwürdige Erzählsystem würde ich gerne sagen, dass es synkopiert ist, wobei der Rhythmus auf dem unbetonten Takt liegt.“ (André Bazin)

Die Rückblenden – Lola, die einen Verehrer ihrer Mutter heiratet, Reise mit Franz Liszt, Affäre in Bayern mit Ludwig I. – sind keineswegs die Berichtigung der unwahren Erzählung in Zirkussprache. Mit anderen Mitteln sind sie in gleichem Maße stilisiert wie die Zirkusszenen, einige sind Außenaufnahmen bei Tag und Sonne und sehen doch aus wie aus einer Welt, in der es Filmkameras nicht gibt. Die radikalen Verstöße gegen die Ökonomie der Produktion, die ein paar Jahre später von Autoren der Nouvelle Vague zur Methode gemacht wurden, verschaffen der Imagination wunderbaren Raum. Bei aller Künstlichkeit in Farbe und Dekor gelingt es, jedem Augenblick ein selbstverständliches Ereignisrecht zu verschaffen.

„Alle Bewegtheit des Films kommt nicht von der Frau, die ihn in Bewegung setzte, sondern vom Bild.“ (Karena Niehoff). Wie in der Malerei ist nicht länger die dargestellte Person die Hauptsache und der Raum um sie das Dekor. Dass Ophüls seinen Star in dieser Weise verarbeitete, ist ihm am meisten verübelt worden.

Man wusste von der Schönheit des Films keinen Gebrauch zu machen. Wenn Schönheit kein Selbstwert sein kann, dann steht sie hier für das, was an einer Figur wie Lola Montez nicht benannt und verbraucht werden kann.

Marina Müller und Werner Dütsch: „Lola Montez – eine Filmgeschichte“. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2002, 298 Seiten m. zahlr. Abb., 39,80 €

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