: Reisen im Schneckenhaus
Der Soziologe Rainer Krüger verband Hobby und Beruf und untersuchte, warum Wohnmobilreisende so an ihrem Hobby hängen. Er fand eine Mixtur von eigentümlicher Freiheitsliebe und Häuslichkeit
taz ■ Im Sommer ist bei den Müllers eigentlich alles so wie immer – nur kleiner. Auf der Fensterbank stehen frische Blumen, in der Ecke läuft der Fernseher. Es riecht nach Gulasch, Mama kocht, Papa mäht den Rasen. Die Müllers haben ein Wohnmobil und sind Camper. Auf ihrem Lieblingsplatz stehen sie Sommer für Sommer an der gleichen Stelle. Mit den Schneiders aus Mühlheim wird abends gegrillt.
Auch Rainer Krüger ist Wohnmobilreisender. Und Sozialwissenschaftler an der Universität in Oldenburg. In dieser Funktion untersuchte Krüger jetzt Motivation und Verhaltensweisen der Wohnmobilreisenden. Der Professor fährt seit über 20 Jahren im Urlaub über die Straßen der Welt und ist damit einer von der anderen Sorte. Denn Wohnmobilreisende, weiß Krüger, teilen sich in zwei Lager auf: In Dauercamper – mit Klo und Nachtwächter allzeit gut geschützt – und, auf der anderen Seite, in die Freisteher. Solche also, die Campingplätze mit ihren „Leinwandvillen“ meiden und Flexibilität und „Freiheit“ propagieren.
77 Interviews hat der Oldenburger im Laufe von sechs Monaten geführt. Er befragte Menschen aus allen Stufen einer „Camperkarriere“. Studenten mit ausgebauten Kastenwagen, Dauercamper, wohlhabende „Aktionsruheständler“.
Sein Ergebnis: Wohnmobilisten bereisen zwar gerne fremde Länder, interessieren sich aber nicht wirklich für fremde Lebenswelten. „Auch wenn man es nicht pauschalisieren darf: Irgendwie tragen die eine Art Schneckenhaus mit sich rum“, sagt Krüger.
Ihr Antrieb ist das Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit. „Flexibel wollen sie sein. Jederzeit die Möglichkeit haben, dem schnarchenden Nachbarn einfach wegfahren zu können“, beschreibt der Wissenschaftler die Motivation der automobilen Nomaden. „Hauptsächlich“, so der Camping-Forscher weiter, „verpflanzen sich die Reisenden in eine andere Gegend, um da dann wie zu Hause zu leben.“
Das tun sie auch, in trauter Zweisamkeit. Denn diese Art des Reisens ist zu 90 Prozent eine Paarveranstaltung. Es ginge auch nicht anders: Wenn sie und er nicht beide Campingfreaks sind, hat Krüger gelernt, „hat die Beziehung keine Chance.“
Diese Lebenseinstellung lassen sich die Wohnmobilisten einiges kosten. Erstaunliche 2,5 Milliarden Euro setzen die über eine Million Fahrer allein in ihre Fahrzeuge um. „Aktionsruheständler mit Geld zahlen die 50.000 Euro für einen neuen Bus schon mal bar“, weiß Krüger. Dazu kommen die Ausgaben während der Urlaubstage, die er mit durchschnittlich 50 Euro pro Tag und Nase ansetzt. Eine willkommene Einnahmequelle auch für Bremen – könnte man meinen. Aber im Bordatlas, einer europaweiten Fibel für Wohnmobilfreaks, fehlt Bremen völlig. Anders als die meisten anderen Kommunen gibt es bis jetzt in Bremen keinen Stellplatz für Wohnmobile, an denen Wasser ausgetauscht und ein paar Tage verweilt werden kann.
Solche Stellplätze sind in der Regel erheblich günstiger als Campingplätze und daher für die Vielreiser äußerst attraktiv. Aber Besserung ist in Sicht: Im kommenden April eröffnet ein Förderverein für Reisemobiltouristik einen Stellplatz für 50 Wagen in Lesum. „Dann“, so der Vorsitzende Wolfgang Heinz, „ist auch dieses schwarze Loch endlich geschlossen.“
Den Müllers ist es egal: Ihrem Platz bleiben sie treu. Sollte es ihnen nicht mehr gefallen, haben sie ja die Freiheit, woanders hinzufahren. Bald auch nach Bremen.
Ole Rosenbohm
Rainer Krüger: „Spur der Freiheit“, Dolde Medien Verlag, 19,90 Euro
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