Schmerzvoll im Unbewussten

Die große Schlange lauert schon. Mit dem Film „Phantom Love“ beginnt heute eine Reihe der amerikanischen Regisseurin und Kamerafrau Nina Menkes im Arsenal: „Shadow Feminine“ – Reisen in weibliche Zwischenräume

Das Geräusch der Nagelfeile: Es ist voller Ungeduld, wütend, aggressiv. Minuten werden zersäbelt, Leben klein gerieben. Lange dauern die Einstellungen, mit denen Nina Menkes, die Regisseurin, ihrer Protagonistin Lulu beim Feilen ihrer langen Fingernägel zuschauen lässt und sonst sich nichts bewegt in dem Salon mit den altmodischen Möbeln.

Mit ihrer Nagelfeile gibt Lulu mehr von sich preis als mit ihrer Stimme. Erst nach einer halben Stunde des Films „Phantom Love“ hört man von ihr den ersten Satz, abwehrend am Telefon: „You shouldn’t call me.“ Sie streitet sich mit ihrer Mutter am Telefon, später besucht Lulu ihre Schwester, die hilflos mit dem Besen Müllhaufen von einer Ecke der Wohnung in die andere schiebt, auf der Suche nach etwas Wichtigem, Verlorenem, Vergessenem. Im Traum und in Spiegeln verbinden sich die Gesichter und die Körper der drei Frauen, im Wachzustand aber ist ihre Kommunikation aussichtslos.

Mit „Phantom Love“ beginnt und endet die Filmreihe, die das Arsenal unter dem Titel „Shadow Feminine“ (von heute bis zum 19. Oktober) der amerikanischen Regisseurin Nina Menkes widmet. Schauplatz von „Phantom Love“, aber auch von „Magdalena Viraga“, der Passionsgeschichte einer des Mordes angeklagten Prostituierten, ist Los Angeles, die Stadt, in der Nina Menkes lebt. Alle ihre Filme kreisen um eine weibliche Figur, heften sich mit der Kamera an ihre Fersen, suchen sie mit langer Brennweite im Gewühl der Menschen oder der Einsamkeit der Wüste, beobachten, was sie beobachtet, und folgen ihr auch in ihre Träume und Visionen.

Männer tauchen in diesen Räumen nur als Besucher auf, gesichtslos zumeist. Und oft ist von ihnen nicht mehr als der nackte Rücken oder ein Stück Schulter zu sehen, das bildfüllend vor und zurück schubbert, wie die Feile über den Nägeln. Mit unbeteiligtem Gesicht lassen Menkes Frauen das als sexuellen Akt über sich ergehen, wie etwas, was nichts mit ihnen zu tun hat.

Lulu in „Phantom Love“ arbeitet ebenso wie Firdaus in „Queen of Diamonds“ als Croupière in einem Kasino. Als ein Meer wogender Körper, eine dichte Kommunikation der Hände, einen ständigen Austausch von Gegenständen weiß Nina Menkes diesen Ort zu inszenieren, der besonders in dem Schwarzweiß von „Phantom Love“ auch eine mystische Tiefe gewinnt. Der Spielchip, das Geld, ist das Medium aller Beziehungen hier, nicht die Sprache, nicht die Gefühle. Die bleiben in den schönen Gesichtern der Frauen, die sich ihre Augen mit schwarzem Kajalstift dick wie eine Kriegsbemalung schminken, verschlossen.

„Phantom Love“ von 2006 ist der jüngste Film der 1964 geborenen Regisseurin und der erste nach einer Pause von zehn Jahren. Bis zu dieser Zäsur hatte ihre Schwester Tinka Menkes jeweils die Hauptrolle gespielt. Mit ihr war Nina Menkes Anfang der 80er-Jahre durch Israel und Marokko gereist, von den Vierteln der orthodoxen Juden über labyrinthische Gassen voll neugieriger Kinder bis in eine Wüste. Ihr Film „The great Sadness of Zohara“ schildert diese Reise wie eine spirituelle Suche. Die Bilder des Films in sehr zarten Farben sind wunderschön, sie verlieren sich an die Landschaft und die Einsamkeit wie die Maler der frühen Moderne. Stimmen im Off begleiten Zohara in der Diktion von Prophezeiungen und Gebeten.

Diese Suche nach einem spirituellen Raum schafft auch in „Phantom Love“ wieder starke Bilder. Lulu geht immer wieder einen langen Flur entlang, in dem eine Riesenschlange träge ihren Leib vorwärtsschiebt. Jedes Mal spürt man etwas mehr von der Spannung, ob Lulu in ihren hohen Schuhe denn wieder, ohne den Rhythmus ihrer Schritte zu unterbrechen, über diese lauernde Muskelmasse steigen kann.

Neben ihrer Familie, dem Kasino und ihren Träumen gibt es noch ein Bezugssystem, das Lulu beschreibt. Die Kamera schaut ihr über die Schulter, wie sie stumm und unbewegt Fernsehen schaut, und immer läuft Krieg, War on Terror, Minen explodieren, verlassene Dörfer werden umkämpft. Man erfährt es nie, aber man glaubt es einfach, dass dies etwas mit ihrer Verkapselung zu tun hat, dass dort das Trauma der Familie begann. KATRIN BETTINA MÜLLER

„Shadow Feminine – Die Filme von Nina Menkes“. 2.–19. Oktober im Arsenal. Heute um 20 Uhr Eröffnung in Anwesenheit der Regisseurin