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Hitler bringt die Versöhnung

SPD und PDS wollen sich nach einem Jahr Rot-Rot auch historisch näher kommen. Zuerst einmal einigt man sich auf einen gemeinsamen Feind. Und die Hauptverantwortung der Konservativen

von ROBIN ALEXANDER

Sage und schreibe 350 Zuhörer sind gekommen. Trotzdem beschleicht den Beobachter das Gefühl, er bräche unerlaubt in eine intime Runde ein. In ein Familientreffen: Die Bildungswerke von SPD und PDS luden am Donnerstagabend zu einer Diskussion anlässlich des siebzigsten Jahrestages der Machtergreifung Hitlers ins Abgeordnetenhaus.

Die Erzählung von SPD und KPD in der Weimarer Republik als tragisches Zerwürfnis zweier Geschwister ist klassisch. Neu ist: Die zänkischen Schwestern versuchen sich zusammenzuraufen. Das ist schwierig, denn Familienzwist heilt, wenn überhaupt, nur langsam. Ursprünglich wollten SPD und PDS auf der „ersten gemeinsamen Bildungsveranstaltung“ produktiv streiten – über Rosa Luxemburg, deren Denkmal zu errichten der rot-rote Senat sich im frühen Überschwang seiner Bildung vorgenommen hatte. Längst ist das allen Beteiligten unangenehm: Zu leidenschaftlich hat die Luxemburg geirrt, um gleich von zwei Seiten vereinnahmt zu werden. Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten – dafür taugt ein Feind besser: „War Hitler vermeidbar?“, diskutieren deshalb unter der Moderation des bedächtigen Alfred Eichhorn an diesem Abend Walter Momper (SPD), Lothar Bisky (PDS) sowie die Historiker Heinrich August Winkler und Klaus Kinner.

An den Personen der beiden Geschichtsprofessoren zeigen sich anschaulich die Kräfteverhältnisse. Winkler wird vom Moderator als „Doyen der neueren Geschichte“ begrüßt. Sein Werk über zweihundert Jahre deutsche Geschichte, „Der lange Weg nach Westen“, gab sogar Gerhard Schröder an gelesen zu haben. Die zwei Bände werden zurzeit ins Englische, Französische und Italienische übersetzt. Als der Kanzler vor kurzem informell Experten um sich sammelte, um Reformen der Sozialsysteme vorzudenken, saß auch Winkler dabei. Es braucht nicht mehr viel bösen Willen, ihn einen Hofhistoriker zu nennen.

Sein Konterpart hat solche Deutungsmacht nicht. Klaus Kinner, einst in Leipzig habilitiert, verfügt seit der Wende nicht mehr über den Apparat eines Lehrstuhls. Er gehört zur Historischen Kommission beim Parteivorstand der PDS, die weniger in die Geschichtswissenschaftwirkt, als einer uneinsichtigen Parteibasis mühsam historische Erkenntnisse nahe zu bringen. „Krusten linksfundamentalistischer Politik“, so Kinner, haben die KPD-Führung bis 1933 an einer realen Einschätzung der Lage gehindert, die noch unmittelbar vor der Machtergreifung „den strategischen Hauptstoß“ nicht gegen Hitler, sondern die SPD führen wollte.

Stört wenigstens Winkler das Familientreffen? In seinen Büchern ist die KPD nämlich nicht die zickige Schwester der demokratischen Arbeiterbewegung, sondern „die andere totalitäre Partei“. Eher der NSDAP wesensverwandt als der SPD und in der Krise Weimars eher Teil des Problems als Teil einer möglich gewesenen Lösung.

Für diesen Abend hat Winkler ein gemeines Paradoxon mitgebracht: „Die Spaltung der Arbeiterbewegung gehörte zwar zu den großen Belastungen der Weimarer Republik, war aber gleichzeitig ihre Vorbedingung.“ Mit anderen Worten: Mit euch Kommunisten war noch nie Demokratie zu machen.

Lothar Bisky sieht das scheinbar ähnlich und möchte „aus der Zelle der KPD-Tradition ausbrechen“. Und da Hitlers Machtergreifung wohl doch schon zu lange her ist, präsentiert Bisky noch einen weiteren gemeinsamen Feind: Jörg Schönbohm, der schlimme Brandenburger Innenminister, der Bücher über „vermeintlichen Antifaschismus“ verschenkt. Bisky: „Der Ruck des Kerns der Gesellschaft nach rechts macht mir mehr Sorgen als die nach wie vor vorhandene rechtsextreme Gewalt.“

Walter Momper, leuchtend rote Krawatte, schreibt dem gemeinsamen Senat historische Bedeutung zu. „Eine Konstante in Deutschland ist weggefallen: dass die kommunistische Traditionslinie und die sozialdemokratische Traditionslinie nicht miteinander können. Das ist vorbei, seit SPD und PDS miteinander koalieren.“ Nur schütterer Applaus aus dem Publikum.

Früher, erinnert sich Momper, hätten sich Sozialdemokraten und radikale Linke immer gegenseitig die Schuld am Faschismus gegeben. Heute ist die Linke mit sich und ihrer Niederlage versöhnt: „Wir müssen uns von der Legende verabschieden, Sozialdemokraten und Kommunisten hätten zusammen Hitler verhindern können“, fasst Bisky die einhellige Meinung zusammen.

In diesen zwei Stunden kann man weniger über die Geschichte als über das aktuelle Verhältnis der beiden ehemaligen Arbeiterparteien lernen. Die SPD dominiert augenscheinlich. Auf dem Podium wie im Senat. Die PDS ist nur dabei. Sie ist froh, überhaupt mitsprechen zu dürfen. Die ehemaligen Kommunisten bestätigen sozialdemokratische Politik wie Geschichtsauffassung und werden damit belohnt, sich nicht länger für einen Politikansatz rechtfertigen zu müssen, an den sie selbst nicht mehr glauben.

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