: Künste sortieren
Die Ästhetik von Computerviren, Gameboys als Klangerzeuger: Die dritte Transmediale für Medienkunst bietet vor allem jungen Genres wie der Softwarekunst ein Forum
In einer Videoarbeit von Lotte Schreiber fährt die Kamera über eine verwitterte Trabantenstadt in Triest. Der graue Beton hängt bedeutungsschwer in den Bildern, die mahnend an die gigantomanischen Visionen der Vergangenheit erinnern. Nun ist es keine originelle Idee, den Verfall der Moderne dokumentarisch zu ästhetisieren. Schreibers Film wirkt deshalb altmodisch. Aber er gewinnt im Rahmen des Medienkunstfestivals Transmediale doch an Bedeutung. Denn die Transmediale selbst ist – wie die Betonbauten – zum Scheitern in Schönheit verdammt.
Der Gedanke, die Künste in einem synästhetischen Panoptikum zusammenfassen zu können, ist ein Signum der Moderne. Es war eine der größten Erleichterungen des späten 20. Jahrhunderts, sich von dieser Vorstellung zu verabschieden und stattdessen in den Ruinen der Moderne Nischen einzurichten. Sofern ein Festival wie die Transmediale dennoch versucht, Kunst über die Grenzen der einzelnen Medien hinaus zu institutionalisieren, begegnet man ihm mit Skepsis. Dass das diesjährige Programm in verwirrender Unübersichtlichkeit zerläuft, kann diese Skepsis nur nähren: allabendliche DJ-Sets im Maria am Ufer, eine Medienlounge – Benutzermodus: abhängen – mit über zwanzig Exponaten aus dem Bereich interaktiver Computerkunst, Minikonferenzen, Wettbewerbe, Ausstellungen, Workshops usw. usf.
Trotzdem ist die Transmediale kein überflüssiges Forum. Das liegt vor allem daran, dass vielen jungen Genres wie der Netz- oder Softwarekunst die Öffentlichkeit des etablierten Kunstbetriebs verwehrt bleibt. Wo sonst hätte man Gelegenheit, die ästhetischen Konsequenzen von Computerviren in einem Ausstellungsrahmen zu diskutieren, wie es die Transmediale mit der Ausstellung „I love you“ in diesem Jahr tut? Subversive Strategien, die High-Tech-Ökonomien unterwandern, gehören zu den Sympathieträgern der Medienkunst. Das gilt für die aggressive Offensivität der Hacker so gut wie für die Zurückhaltung, mit der Künstler niedere Technologien zum Produktionsstandard erheben. Das polnische Gameboyzz Orchestra zum Beispiel verwendet Gameboys als Musikinstrumente. Die Elektrokomponisten Thom Kubli und Sven Mann hingegen erklären in ihrem Stück „Deterritoriale Schlingen“ billige Taschenradios zu Klangerzeugern.
Um bei der Auswahl des Repertoires nicht der völligen Willkür anheim zu fallen, hat man sich in diesem Jahr für das schlagkräftige Motto „Play global!“ entschieden. Nun droht der Begriff der Globalisierung in der Kunst derzeit zum bloßen Buzzword zu verkommen. Daran werden auch die beiden Konferenzen, die die Transmediale dem Thema widmet, wenig ändern. Aber die politische Entwicklung geht nicht spurlos an der Kunst vorüber. Durch viele der Arbeiten weht der Wind politischen Engagements, darunter Mark Boswells Dokumentationscollage „Agent Orange“, in der die polierten Züge des Katastrophen-Managements in einer verwalteten Welt aus Militärs, Politik und Wissenschaft seziert werden.
Die transmedialen Königskategorien sind, allen Auflösungserscheinungen im Bereich der neuen Medien zum Trotz, auch in diesem Jahr die etablierten Gattungen Musik und Video. Im Maria am Ufer versammelt sich in der kommenden Woche alles, was im Bereich des Glitch-Pops Rang und Namen hat, darunter Thomas Brinkmann, Jan Jellinek, Rechenzentrum, Pole. Auch die Videokunst führt vor, wie man als hippes Medium in Würde zu altern lernt. Und das nicht nur, weil Peter Greenaway sein neues Multimedia-Projekt „Tulse Luper Suitcases“ vorstellen wird, sondern auch weil viele der übrigen Arbeiten den Umgang mit Geschichte suchen. In ihrem „Video Poem“ reiht Andrea Walters Bilder eines Lebens wie wuchtige Metaphern im Stabreim aneinander. Linda Wallace hingegen greift mit „EuroVision“ erzählerische Perspektiven aus den Filmen von Godard und Bergman auf, um sie zu einem Sittengemälde der Fünfzigerjahre zu verknappen. BJÖRN GOTTSTEIN
31. 1. bis 5. 2., im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10 (Tiergarten) und im Maria am Ufer, an der Schillingbrücke (Friedrichshain)