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Für immer Teen

Immer zur Stelle, wenn’s um die richtige Haltung zum Schweinesystem geht: Die Goldenen Zitronen aus Hamburg feierten im Berliner SO 36 ihren 18. Geburtstag mit Freunden wie den Robespierres und in Form eines bunten Abends

Was tun, wenn Punks volljährig werden? Bier saufen, eine Gala feiern und ganz viele Freunde einladen. So machen es im Moment jedenfalls die Goldenen Zitronen auf einer kleinen Deutschlandtour. Die Hamburger Aufrechten sind 18 Jahre im Geschäft, obwohl: im Geschäft? Klingt ja geradezu kommerziell. Das wollen die Herren Zitronen auf gar keinen Fall sein. Wir sind doch nicht die Toten Hosen oder Die Ärzte.

Sogar CDs versuchten sie noch in den Neunzigern zu boykottieren, indem sie mit Absicht schlechter als ihre Vinylpressungen klangen. Ihre Tonträger erscheinen bei Buback. Was vielleicht schon einiges über den Politbegriff der Zitronen sagt – nur was? Links sind sie, gegen Nazis, gegen böse Regierungsgrüne. Ihr Politheld ist Thomas Ebermann. Vielleicht lesen sie konkret oder noch krasser, den AK, der aus Arbeiterkampf Analyse und Kritik gemacht hat. Ernst nehmen sie sich und ihre Positionen, die sie in Interviews erläutern, bei denen der Frager am besten zu Beginn sagt: Schorsch, ich war 1977 in Brokdorf, hab in Gorleben ’nen Stein von den Bullen auf die Backe bekommen (Narbe zeigen!) und hab mal in der Hafenstraße gepennt. Vertraue mir! Anstrengend, diese Typen.

Im Berliner SO 36 war es proppevoll. „Alle“ waren da. Zur Traditionspflege wurde sogar ein reaktionärer SFB-Frontstadt-TV-Übertragungswagen mit einem Pflasterstein beworfen und geplündert. In dem langen, stickigen Schlauch SO (gesprochen: Esso) ballten sich Lederjackenpunks aller Altersklassen, Normalos und viele Frauen, die Schorsch Kamerun in seinem Cross-Gender-Glitzerkleid mit tiefem Rückenausschnitt „originell“ fanden. „Zum Glück hat er keine Haare auf dem Rücken“, hieß es am Tresen. Falls man mitgrölen wollte, wurden einem hier auch gleich Textbausteine ergänzt: beim Stichwort China oder Reissack oder Schubkarre. Achtzig Millionen Hooligans versteht sowieso jeder. St. Pauli geht auch klar, und was die bösen Hools, also fast alle Deutschen, am liebsten in der Freizeit tun, wird auch an diesem Abend gegeißelt. „Das bisschen Totschlag, bringt doch keinen um (sagt mein Mann).“

Um die richtige Haltung zum Schweinessystem geht’s oder wenigstens den richtigen Song. Und die richtigen Kumpels: Bernadette la Hengst sang „schön schräg“, Tobias Levin war angeblich auf der Bühne, Les Robespierres und zig andere Leute. Ein Entertainer (Manuel Muerte?) überbrückte die Pausen mit Späßchen. Er verteilte volle Bierbecher, die man ihm am Ende doch bitte ins Gesicht werfen sollte. Nicht leer trinken! Dann schluckte er magiermäßig diverse Rasierklingen, reihte sie im Mund an einer Schnur auf und hoffte auf die Belohnung. Aber Punks lassen sich doch nicht verarschen! Nur wenige Spritzer Bier landeten auf seinem Anzug.

Lustiges Chaos, kaputter Sound und sympathisch verpasste Einsätze auch sonst: „Könnte der Schlagzeuger mal auf die Bühne kommen? Oder ein Gast!“

Ein netter bunter Abend. Trotzdem wurde man das Gefühl nicht los, hier kämpften welche krampfhaft im selbst gewählten linken Gefängnis gegen Dumpf- und Deutschtum. Für Ungeübte eine stressige Art von Spaß.

ANDREAS BECKER

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