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Die Schwenks stimmen: In James Wentzys Dokumentation „Fight Back, Fight Aids: 15 Years of Act Up“ im Panorama geht es um die Darstellung von Protest als Performance und um reale Interessen nach Art des Civil Rights Movement

Am 24. März 1987 ist wenig los auf den Straßen von New York. Die Gruppe der Demonstranten fällt den anderen Passanten nicht sonderlich auf. Wäre der Protestzug nicht auf Video dokumentiert, wüsste man kaum etwas über die Geburtsstunde von Act Up, die „AIDS Coalition to Unleash Power“, die sich seither für eine weniger restriktive Gesundheitspolitik in den USA engagiert – und es immer noch muss, weil auch unter Clinton und erst recht mit dem „War on Iraq“-Programm George Bush jrs. weiterhin jeder Dollar für die Bekämpfung von Aids gegen andere Interessen durchgesetzt werden muss.

Der Filmschnipsel von damals, mit dem James Wentzy seine letztes Jahr fertig gestellte Dokumentation zum 15. Geburtstag der Bewegung beginnt, entspricht der Spontanität der frühen Tage. Die Kamera wackelt, das Band hat Blips, kleine Aussetzer, die abstrakte Schlieren über das Ereignis legen. Schon im März 1988 arbeitet mit dem Kollektiv Paper Tiger TV aber ein professionelles Team an der Darstellung von Gegenöffentlichkeit. Die Schwenks stimmen: von den Hochhäusern der Wall Street auf die Gesichter der Polizisten, die der nun gewachsenen Schar der Demonstranten beim Marsch den Weg versperren.

Durch die mediale Zuspitzung wächst auch die Aufmerksamkeit für die Aktionen von Act Up. Tatsächlich hat sich nirgendwo seit 1968 Protest so sehr als Performance artikuliert, ist Widerstand dermaßen kulturell und künstlerisch machbar von den Beteiligten aufgefasst worden. Jedes Lied, dass zur Einstimmung auf die Demo geübt wird, gleicht einer Theaterprobe mit genau verteilten Rollen; jeder Abschlussredner hat die Qualitäten eines Entertainers. Wenn Vito Russo spricht, sieht man ihm die Folgen der HIV-Infektion an, vor allem aber hört man seiner sonoren, scharf artikulierenden Stimme zu, mit der der Village-Voice-Autor den schnelleren Test von Medikamenten fordert. Zugleich nimmt mit der Wut auch die Provokation bei den Happenings zu: Asche wird in den Vorgarten des Weißen Hauses geschüttet, offene Särge mit Toten werden durch die Straßen getragen.

Act Up ist überall und vor allem sichtbar, denn „Silence = Death“. Mit „Fight Back, Fight Aids“ setzt Wentzy auf die Unmittelbarkeit des Found Footage. Deshalb wird ganz auf Talking Heads verzichtet, die im Stil des Zeitzeugen-TVs das Geschehen kommentieren. Das ist oft verwirrend, zumal die Zuordnung der Stimmen, Gesichter und Orte in der Untertitelung meistens ausgespart bleibt. Vielleicht ist die Weigerung eine Form von Trauerarbeit – viele der Beteiligten sind an der Krankheit längst gestorben. Vielleicht folgt Wentzys Vorgehen aber auch den Essentials von Act Up, die eben keine Erinnerung leisten will, sondern reale Interessen nach Art des Civil Rights Movement vertritt. Es geht nicht um Ikonen einer Revolution, eher um die Basis politischer Korrekturen.

HARALD FRICKE

Heute, 14.30 Uhr, CineStar

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