: Das Ausflugsziel bestimmt der Wind
Rund 80 Ballonfahrer steigen in Brandenburg regelmäßig zum Himmel. Von oben betrachtet hat das Märkische vor allem Weite und Wild zu bieten. Über das Land zu gondeln ist dank Nylon und High-Tech auch für Laien kein unerfüllbarer Wunsch
von SOPHIE BAUER
Die Inversionwetterlage ist der Feind aller Ballonfahrer. Wenn über Brandenburg mal wieder eine dicke, fette Wolkenschicht die Sicht versperrt und die schlechte Luft nicht vom Boden wegkommt, haben auch Ballonfahrer nichts zu lachen. Dann geht nichts, und die potenziellen Passagiere, die auf Abruf an ihren Telefonen sitzen, werden auf bessere Zeiten vertröstet.
Doch ab und an gibt es das auch im Winter: glasklare Luft, wolkenfreier Himmel und gefrorener Boden. Dann kommt Bewegung in die mittlerweile zahlreichen Ballonsportvereine in Berlin und Brandenburg und auch die kommerziellen Unternehmen, die mit rund 20 Ballonen im Geschäft sind, heben ab. Dann heißt es Fluggäste aufpicken, zum Startplatz fahren und den Weidenkorb mitsamt der Nylonhülle in Position schieben.
Ein Propangasbrenner sorgt für heiße Luft, bis sich die rund 1.400 Quadratmeter Stoff in ihrer ganzen großen, schillernden Schönheit zeigen. Bis zu 100 Grad warm wird es im Innern der Hülle, dann hebt der Ballon ab. Ganz langsam, immer der Windrichtung nach geht es nach oben in eine Höhe, wo sich sonst nur Seeadler und Wildgänse begegnen. Wohin die Reise geht, weiß in der Regel niemand ganz genau.
Aus dreihundert Meter Höhe wirkt das Land ziemlich unspektakulär, nichts als Wiesen, Wälder und vor allem Wild. „Das ist natürlich nichts, verglichen mit einer Alpenüberquerung“, gibt Gerhard Graßl vom Ballonhafen Berlin zu. Dennoch habe gerade das Brandenburgische seinen Reiz. „Soviel Wild wie hier gibt’s nirgendwo“, so der 39-jährige Luftfahrtunternehmer. Und er muss es wissen, schließlich ist er mit dem Ballon schon weit herumgekommen. Erst neulich hat er die Steigenberger-Ballon-Trophy im schweizerischen Gstaad mit organisiert, und in Afrika ist der gebürtige Oberbayer unter anderem auch schon in die Luft gegangen.
Rund 90 Minuten schwebt der Ballon übers Land. Kalt wird es nicht, wegen des Brenners über den Köpfen, aber auch wegen der Luft, die mangels Wind wärmer ist als am Boden. Schließlich wird sanft gebremst, die Luft im Ballon wird kühler, der Korb mit den Passagieren gondelt auf einer Wiese aus, die möglichst nicht matschig sein darf, denn sonst ist das Äußere des handgefertigten Weidenkorbs hin. Für Erstfahrer ist jetzt die Champagnertaufe fällig, ein altes Ritual, das die Aufnahme in den heiligen Kreis der Luftfahrer symbolisieren soll.
Ballonfliegen ist in Brandenburg erst seit rund elf Jahren möglich. Zu DDR-Zeiten war den Staatsoberen das luftige Treiben suspekt, nicht zuletzt seit jener spektakulären Flucht zweier Familien mit einem selbstgebauten Heißluftballon. In über 2.000 Metern Höhe passierten sie 1979 die Grenze nach Bayern.
Die Idee, mit Heißluft dem Himmel näher zu kommen, ist uralt. Schon Leonardo da Vinci experimentierte mit Heißluft zur Überwindung der Schwerkraft. Als die eigentlichen Erfinder des Ballonfahrens aber gelten die Brüder Montgolfière, die 1783 erstmals einen Ballon mit Hahn, Schaf und Erpel erfolgreich in die Luft schickten. Erzeugt wurde die Heißluft durch ein großes Bodenfeuer.
Den ersten bemannten Flug trauten sich Pilatre de Rozier und der Marquis d’Arlandes im gleichen Jahr zu. 25 Minuten schwebten sie über der Seine, um dann unversehrt zu landen. Die erste Frau an Bord eines Ballons war Wilhelmine Reichard. Sie gelang 1815 immerhin bis in 7.800 Meter Höhe, dort riss allerdings die Hülle ihres Ballons. Wie durch ein Wunder überlebte sie den Sturz, und nur fünf Jahre später gondelte sie wieder, diesmal von Hamburg bis Malchin, rund 225 Kilometer Strecke. Eine Weltumrundung im Ballon schaffte erstmals der Schweizer Bertrand Piccard 1999 gemeinsam mit dem Briten Brian Jones in nur zwanzig Tagen.
Wegen der vielen Ballons über märkischen Wald und Wiesen, die auch aus anderen Bundesländern zu Besuch kommen, sind im letzten Jahr die Naturschützer auf den Plan getreten. Die riesige Silhouette des Ballons, verbunden mit dem Brennergeräusch, verursache bei den Tieren Panikattacken, so der Vorwurf. Auf einer Tagung im brandenburgischen Linum einigten sich Vertreter der Landesluftfahrtbehörde, Ballonfahrer und Artenschützer deshalb auf einen besonderen Vermerk von Großschutzgebieten auf Luftsportkarten und auf ein speziell für Ballonfahrer zugeschnittenes Fahrtvorbereitungsmaterial. Ob es nützt, ist allerdings fraglich. „Ballons kann man nicht lenken, den Weg entscheidet allein der Wind“, gibt Größl zu bedenken.
Ballonfahrtunternehmen: Ballonhafen Berlin, Pflügerstr. 2, 12047 Berlin, Tel. (0 30) 6 94 41 58; Berlin Ballooning, Kurfürstendamm 206, 10719 Berlin, Tel. 882 71 41; Ballonsportclub Havelland, 14641 Wagenitz, Parkstr. 27, Tel. (03 32 37) 8 83 83, eine Ballonfahrt kostet zwischen 160 und 190 Euro pro Person
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