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Am Rande der Fahrlässigkeit

Für den HSV waren zu wenig Wolfsburger Spieler auf dem Platz um guten Fußball zeigen zu können. Der 2:0-Erfolg beschert dem HSV einen aussichtsreichen sechsten Tabellenplatz und die Erkenntnis, von einem Effenberg-Transfer besser abzusehen

von OKE GÖTTLICHund JÖRG FEYER

Der Wolfsburger Coach Wolfgang Wolf wütete ein wenig. Er wollte partout nicht verstehen, warum der Schiedsrichter seiner Meinung nach in der 36. Minute derart „unverhältnismäßig“ reagieren konnte. Den weit über die norddeutschen Grenzen hinaus bekannten Nickeligkeiten des Schlachtersohnes Bernd Hollerbach folgte nach einem erneuten Knuff des linken HSV-Abwehrspielers der vermeintlich spielentscheidende Ausraster des Wolfsburger Stürmers Ponte. Dieser stieß den sonst so kompakten Hollerbach um und wurde, statt wie Hollerbach mit einer gelben von Schiedsrichter Kinhöfer vorsorglich mit einer roten Karte bedacht, um das Duell nicht in einem eishockeytypischen Fight enden zu lassen.

Nach der „Schlüsselszene des Spiels“ sah auch Gästetrainer Wolfgang Wolf den HSV klar auf der Siegerstraße. Drei Minuten später erzielte Rodolfo Cardoso das 1:0 per Kopf („Den hat er sonst nur zum denken und nicht zum köpfen“, so HSV-Coach Kurt Jara) für den HSV.

Angesichts des schwachen Auftritts der Wolfsburger schien nun nur noch fraglich, wie viel der HSV für sein Torverhältnis würde tun können. Doch spätestens Mitte des zweiten Durchgangs hatten die Gastgeber nicht mehr das 2:0, geschweige denn weitere Treffer vor Augen, sondern nur noch „das 1:1 im Hinterkopf“, wie Bernd Hollerbach bekannte. Wie das Kaninchen vor der Blindschleiche erstarrte der HSV vor dem harmlosen Konkurrenten, der sich kaum eine Torchance erspielen konnte.

Selbst als der ohnehin bereits am Kopf lädierte Maik Franz mit ausgekugelter Schulter vom Platz musste und man – Wolfsburg hatte bereits dreimal gewechselt – einige Minuten 10 gegen 8, und ab der 89. Minute sogar 10 gegen 7 spielen konnte, weil auch Maric die gelb-rote Karte gezeigt bekam, konnte der HSV nicht überzeugen. Mit den sich offenbarenden Räumen wusste der HSV kaum etwas anzufangen, und nicht nur Sergej Barbarez raufte sich verzweifelt bis wutentbrannt die Haare.

Natürlich registrierte auch Trainer Kurt Jara diesen „Bruch im Team“. Seine Interpretation fiel allerdings recht eigenwillig aus. „Wir konnten uns nicht mehr am Gegner orientieren“, bot der HSV-Coach an. Das Trainingsprogramm für diese Woche kann jedenfalls nur heißen: Überzahlspiel ohne Ende. Damit der HSV den Weg zum Tor auch dann findet, wenn sich dabei nicht mehr ganz so viele in den Weg stellen. Immerhin traf Benjamin (s. nebenstehender Text) noch das inzwischen verwaiste Tor der Wolfsburger (90.) und erlöste den HSV letztendlich.

„Wir wollten nur die Serie halten, nächstes Mal spielen wir auch wieder gut“, witzelte HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer angesichts des elften Matches ohne Niederlage in Folge. Weniger humorvoll sprach auch er von einer Vorstellung am „Rande der Fahrlässigkeit“.

Einer Situationsbeschreibung, die auch die Suche nach dem Ergänzungsspieler für den verletzungsanfälligen aber erneut starken Mittelfeldakteur Rodolfo Cardoso kennzeichnet. Nun ist Stefan Effenberg, dessen Vertrag in Wolfsburg zum Saisonende ausläuft, in das engere Blickfeld des HSV gerückt. „Ja, wir haben ein Informationsgespräch geführt“, bestätigt Beiersdorfer. Ob die Zuschauer den Hamburger allerdings beim HSV wollen, bleibt angesichts der Pfiffe von den Rängen und Effenbergs gezeigter Leistung fragwürdig.

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