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Redegewandte Betrüger

Redigieren im Beamten-Kasino: Seit 33 Jahren erscheint die Bremer Gefangenenzeitung „Diskus 70“

dpa ■ Der Weg in die Redaktion der Gefangenenzeitung “Diskus 70“ ist kompliziert. Erst wer die Kleingartenkolonie „Blühauf“ im Bremer Westen hinter sich gelassen und beim Pförtner Handy und Ausweis abgegeben hat, darf das rostige Rolltor der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Bremen passieren. Treffpunkt ist das alte Beamten-Kasino. Sieben Jugendliche mit Gel in den Haaren und Hip-Hop-Klamotten, zwei Männer aus dem Gefängnis Oslebshausen und eine Frau diskutieren hier jeden zweiten Mittwoch über den Inhalt einer der ältesten Gefangenenzeitungen in Deutschland. „Diskus 70“ erscheint seit 33 Jahren.

Die Hauptredakteure von „Diskus 70“ seien in der Regel die wegen Betrugs angeklagten Häftlinge, sagt der für die Zeitung zuständige Beamte Michael Kümmel. „Die sind am redegewandtesten.“ Zum Beispiel Torben F., der Betriebswirtschaft studiert hat und jetzt die Redaktionssitzung leitet. „He Jungs, habt Ihr was zum Thema Gewalt?“, ruft er in die Runde – ein heißes Thema im Knast.

Doch auch Zoff mit der Bücherei, Stellenstreichungen im Frauenvollzug und die große Einsamkeit sind Themen von „Diskus 70“. Nach Ansicht des Beamten Kümmel ist es neben dem „Lichtblick“ der JVA Berlin-Tegel „die inhaltlich beste Gefangenenzeitung in Deutschland“. Und sie ist ein Ort für Träume. Während Torben F. die Zeitung mit den eng bedruckten DIN A 4 Seiten redigiert, denkt er an seine Zukunft. „Wenn ich raus komme, will ich Medieninformatik studieren“, sagt der 28-Jährige auf dem Weg zurück in die Zelle. Sabine Komm

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