: Das Mädchen mit tausend PS
„Sie sah aus wie ein italienischer Fischerknabe“: Morgen wäre Ruth Landshoff-Yorck 100 Jahre alt geworden. Wie keine andere repräsentierte sie das Berlin der wilden Zwanziger. Neuauflagen ihrer Romane laden jetzt dazu ein, sie neu zu entdecken
VON CARSTEN WÜRMANN
„Möchten Sie einen weiblichen Snob kennen lernen?“ Mit diesen viel versprechenden Worten versuchte Alfred Andersch Anfang der Sechzigerjahre für die Schriftstellerin Ruth Landshoff-Yorck und die „zarte Unverschämtheit und unverschämte Zartheit“ ihrer Prosa zu begeistern. Vergebens. Andersch gelang es genauso wenig wie zur selben Zeit Hans Magnus Enzensberger, die vor den Nationalsozialisten ins Exil in die USA geflohene Berlinerin wieder dauerhaft im bundesdeutschen Literaturbetrieb unterzubringen. Landshoff-Yorck blieb eine der nicht wenigen jungen Autoren, die in den späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren mit ersten Veröffentlichungen von sich Reden machten, dann aber vom „Dritten Reich“ um ihre schriftstellerische Karriere und ihren verdienten Platz im kulturellen Gedächtnis der deutschen Öffentlichkeit gebracht wurden.
Erst in den letzten Jahren entsinnt man sich wieder dieser Autoren wie etwa Martin Kessel, Gabriele Tergit, Gina Kaus und eben Ruth Landshoff-Yorck, die gekonnt modern in Thema und Stil Romane schrieben, um auch von ihnen zu leben. Der Kritik schienen sie zum Teil allzu ein- und marktgängig. Die Philologie entdeckt erst allmählich, wie sehr sie avancierter Ausdruck einer Zeit sind, die unsere Medienkultur bis in die Gegenwart prägt, dabei aber Texte bleiben, die auch heute noch sehr unterhaltsam sind.
Bei Landshoff-Yorck dauerte es nach ihrem frühen Tod 1966 über drei Jahrzehnte, bis sie wieder zurück in die Buchhandlungen kam. Claudia Schoppmann brachte 1997 die von Andersch so gelobten „biographischen Impressionen“ „Klatsch, Ruhm und kleine Feuer“ bei Fischer neu heraus. Im kleinen Berliner AvivA-Verlag erschienen vor kurzem in sehr ansprechend gestalteten Ausgaben ihr erster, 1930 bei Rowohlt verlegter Roman „Die Vielen und der Eine“ und erstmals der 1933 bereits gesetzte, aber nicht mehr gedruckte „Roman einer Tänzerin“. Zudem liegt pünktlich zum Geburtstag ein Sammelband mit Aufsätzen zu Leben und Werk sowie journalistischen und literarischen Arbeiten vor. Die Umstände sind also günstig wie nie, anlässlich ihres 100. eine Frau kennen zu lernen, die wie kaum eine andere das kulturelle Berlin der Weimarer Jahre repräsentiert.
Ruth Landshoff-Yorck wurde am 7. Januar 1904 in Berlin geboren, in eine gutbürgerliche Familie: Ihre Mutter Else Landshoff war Opernsängerin, ihr Vater Eduard Levy Ingenieur. Wie ihre beiden älteren Brüder nannte sie sich Landshoff nach der Mutter. Der zweite Namensteil kam 1930 nach der Heirat mit Graf David Yorck zu Wartenburg hinzu. Über ihre Kindheit schrieb sie später in ihrer unvollendet gebliebenen Autobiografie: „Ich war bestimmt ein glückliches Kind. […] Ich war übermäßig stolz auf dreierlei: Jüdin zu sein, Deutsche zu sein, Berlinerin zu sein. All das war später eher ein Nachteil.“
Im Haus ihres Onkels, des Verlegers Samuel Fischer, lernte sie von klein auf die kulturelle Prominenz ihrer Zeit kennen: „Häufig entschloss sich einer der erwachsenen Gäste zum Spielen mit uns. Nicht oft waren wir darüber erfreut. Zum Beispiel war Thomas Mann ausgesprochen pompös und unangenehm beim Krockett, wo man sich sowieso leicht zankt. Gerhart Hauptmann war sehr lustig und brachte uns leicht zum Lachen. Wir hörten, er sei olympisch, aber das hinderte ihn nicht am Unsinnmachen. Alfred Kerr und Lovis Corinth fanden wir langweilig, und dass Liebermann berlinern durfte, machte uns neidisch. […] Hofmannsthal war elegant. Und spielte nicht mit.“
Die wilden Zwanzigerjahre begannen, und Ruth Landshoff war mittendrin. Der Filmregisseur F. W. Murnau entdeckte sie auf dem Schulweg und engagierte sie 1921 für die zweite weibliche Hauptrolle in „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“. Nach dem Abitur besuchte sie Max Reinhardts Schauspielschule, hatte kleinere Rollen in Berlin, Leipzig und Wien, dort gemeinsam mit Marlene Dietrich.
Ruth Landshoff gehört zu den richtigen Kreisen, ist jung, klug und schön, und wird ein Star der Berliner Boheme- und Intellektuellenszene. Privilegiert durch Herkunft und Bildung, finanziell abgesichert durch Familie, Verehrer und eigene Einnahmen, gehörte sie zu den nicht eben vielen, die sich die Freiheiten der neuen Zeit nehmen konnten.
Dabei vereinte die knapp Zwanzigjährige wie kaum eine andere die ästhetischen, androgynen Ideale der Jahre: „Sie sah aus wie ein italienischer Fischerknabe […] unglaublich schön“, erinnert sich die Fotografin Marianne Breslauer, spätere Feilchenfeldt. Die Aufnahmen des Bauhaus-Fotografen Otto Umbehr (Umbo) zeigen eine attraktive Frau, mit gewelltem Bubikopf, braun gebrannt in weißer Sportkleidung, mondän mit Hut oder auch geheimnisvoll mit Maske. Ruth Landshoff war mit dem 25 Jahre älteren Karl Vollmoeller, erfolgreicher Theater- und Drehbuchautor, liiert – eine zentrale Größe des Berliner intellektuellen Lebens –, lebte zeitweilig mit der Freundin Thea Sternheim zusammen, verlobte sich mit dem Cellisten Francesco von Mendelssohn. Sie liebte promisk, provozierte im Frack, fuhr mit Motorrad und teuren Autos über den Ku’damm und durch Europa.
In den wenigen politisch und wirtschaftlich leidlich stabilen Jahren der Weimarer Republik ließen sich die faszinierenden Möglichkeiten der Moderne in kurzer Zeit und rasantem Tempo durchleben und durchspielen – schillerndes und lang lebendes Vor- und Schreckenbild für die Zeitgenossen und viel mehr noch für die Nachgeborenen. Menschen wie Ruth Landshoff erprobten neue Geschlechterrollen, setzten neue Normen und Sichtweisen in der Literatur, der Kunst und im Leben.
Doch Rut – auf das stumme h verzichtet sie neusachlich – lebte diesen Stil nicht nur, sie begann auch, journalistisch über ihn zu berichten und ihn literarisch zu stilisieren. Auf einer Party erhielt sie das Angebot, für den Ullstein-Verlag zu schreiben. Einer der ersten Texte erschien 1927 im Frauenmagazin Die Dame überschrieben mit „Das Mädchen mit wenig PS“ und beginnt entsprechend: „Ich finde, ein weibliches Auto muss so appetitlich aussehen wie ein Baby.“
Bis zu ihrer Emigration 1933 lieferte sie Dutzende Artikel für die Illustrierten des Ullstein-Konzerns: Glossen, Reportagen, bestes Feuilleton über Autos, neue Frauen, Reisen, mit Titeln wie „Steckbrief eines jungen Mädchens“ oder „Abenteuer in der Wüste“. Dem Journalismus blieb sie auch in ihrem ersten Roman „Die Vielen und der Eine“ eng verbunden. Die Heldin Louis Lou ist Reporterin, reist zum Beginn nach Amerika und verliebt sich dort auf einem Empfang in einen jungen Mann – natürlich ein Millionärssohn, den sie, nachdem sie die vielen bekommen hat, am Ende auch noch kriegt.
Leicht und schnell erzählt, spielt der Roman mit den Mitteln der Avantgarde genau wie mit Klischees aus Illustrierten und Film. Rasant wechseln die Rollen und Orte. New York, rauschende Partys in Kalifornien, homosexuelle Subkultur. Auf Luxuslinern geht es zurück in die Boheme von Montparnasse, ins Oxforder Studentenmilieu und endet für die einen im Opiumrausch und in den Armen blonder Matrosen und für die anderen in einer Berliner Ballnacht.
Doch für ihre weiteren Romane war es bereits zu spät. Der zweite, „Die Schatzsucher von Venedig“, eine Auftragsarbeit für das Spitzenhonorar von 40.000 Mark, vorgesehen für die massenhafte Merfachverwertung im Ullstein-Verlag, konnte 1933 in Deutschland genauso wenig erscheinen wie der „Roman einer Tänzerin“. Das Leben der Tänzerin Lena Amsel, die 1929 bei einem Autounfall in Paris tödlich verunglückte, diente Ruth Landshoff-Yorck als Vorbild für ihre Geschichte der Lena Vogel, die mit einer Furcht wie Bewunderung erregenden Konsequenz ihr eigenes Leben immer wieder neu entwirft. Die Biografie einer modernen Frau, eines Mädchens unserer Zeit, wollte sie schreiben, so Landshoff-Yorck im amerikanischen Rückblick. Die Fähigkeit und der Wille zum Neuanfang sei es gewesen, was sie an Lena Amsel faszinierte. „So it was possible after all to begin life twice […] to start all over again on a different road and remain successful there.“
1937 reiste Ruth Landshoff-Yorck – inzwischen von Yorck geschieden –, in die USA ein. Es gelang ihr, auch literarisch in der neuen Heimat anzukommen, mit ihren auf Englisch geschriebenen, dezidiert antifaschistischen Romanen „The Man Who Killed Hitler“ (1939), „Sixty to go“ (1944) und vor allem „Lili Marlene“ von 1945 erzielte sie beachtliche Erfolge. Im selben Jahr erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Jenseits ihrer Rolle als Emigrantin blieb ihr breitere Anerkennung als Autorin allerdings versagt. Der Roman „So Cold the Night“, das Bekenntnis eines psychotischen Mörders, erhielt mit den unverblümten Beschreibungen homosexuellen Begehrens und sexueller Obsessionen wenig positive Resonanz. Für weitere Bücher fand sie in den USA keinen Verleger mehr.
1951 kam sie nach längeren Reisen durch Europa erstmals wieder nach Deutschland, das Land beschäftigte sie entgegen ihrer Erwartung immer noch, sie begann erneut auf Deutsch zu schreiben. 1952 erschien in der Frankfurter Verlagsanstalt der Erzählungenband „das ungeheuer zärtlichkeit“. Sie empfahl befreundete amerikanische Autoren wie Carson McCullers und Truman Capote, besuchte Treffen der Gruppe 47. Doch heimisch wurde sie nicht; Amerika hatte Spuren hinterlassen, auch in ihrer Sprache. Trotz der prominenten Fürsprecher wollten die Verlage sich anders als Andersch nicht für „ihr wundervolles schlechtes Deutsch“ begeistern. Was auch immer die Verleger damit meinten: Ihre Romane blieben ungedruckt. In „Klatsch, Ruhm und kleine Feuer“, ihrem letzten zu Lebzeiten verlegten Buch von 1963, erinnerte sie sich in ihrer charmant-leichten, vielleicht sogar etwas snobistischen Sprache an prominente und weniger prominente Freunde und Bekannte und zeigte nachdrücklich Klasse, indem sie ganz en passant auch von ihrem eigenen Leben erzählt, das mindestens so faszinierend wie das der Skizzierten war. Zum Beispiel die Geschichte, wie sie Marlene Dietrich zur Rolle der Lola im „Blauen Engel“ verhalf. „Manche sagen, ein Liebeslied von Friedrich Hollaender sei der Start für Marlenes Hochflug gewesen, andere sagen, die Svengali-Eigenschaft von Josef von Sternberg, und ich sage: ich.“
Ruth Landshoff-Yorck kehrte nur zu Besuchen nach Deutschland und Europa zurück, ihr Hauptwohnsitz blieb New York. Hier anvancierte sie in den Sechzigerjahren noch einmal zur zentralen Gestalt, zur „poet lady“, einer jungen avantgardistischen Szene in Greenwich Village. Am Broadway wurden in experimentellen Off-Theatern gesellschaftskritische Stücke von ihr aufgeführt. Dort starb sie am 19. Januar 1966 während einer Aufführung von Peter Weiss’ „Marat“ an Herzversagen.
Ruth Landshoff-Yorck: „Roman einer Tänzerin“. Erstausgabe aus dem Nachlass. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Walter Fähnders. AvivA-Verlag, Berlin 2002, 16,50 Euro; „Die Vielen und der Eine“. Hrsg. von Walter Fähnders. AvivA-Verlag, Berlin 2002, 16,50 Euro; Über die Autorin: „Ruth Landshoff-Yorck, Karl Otten, Philipp Keller und andere. Literatur zwischen Wilhelminismus und Nachkriegszeit“. Hrsg. von Gregor Ackermann, Walter Fähnders und Werner Jung. Weidler-Verlag, Berlin 2003, 45 Euro
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