piwik no script img

Sinnlose Gürkchen

Mehr Schaum vorm Mund als in der Wanne: Das Packhaus-Theater verwandelt Thomas Brussigs ,,Helden wie wir“ in eine 65-minütige Logorrhöe – ohnepunktundkomma

Was macht eigentlich Klaus Uhltzscht? Wir erinnern uns: Das war dieser manisch verklemmte Jüngling mit der aufbrausenden Allmachts-Fantasie, der mit seinem ins pythonhafte angewachsenen „geheiligten Pimmel“, die genitale Befreiung anstrebte. Er ließ die Hosen herunter, die Berliner Schandmauer stürzte ein– und ein ungutes Kapitel deutscher Geschichte konnte lächelnd abgeschlossen werden. Damit war einiges erreicht, aber nicht viel gesagt.

So nahm sich Thomas Brussig des jungen Pioniers an und setzte ihm 1995 mit dem Roman „Helden wie wir“ ein literarisches Denkmal. Beflügelt vom sarkastischen Spott verortete Brussig die Stasi-Karriere Uhltzschts in einem Neurotiker-Verein zur Wahrung wahnhaft kümmerlichen Spießertums. Wenn der Arbeiter-und-Bauern-Held einen Broiler vergewaltigt, das kulinarische Wahrzeichen Ost-Deutschlands, werden alle anderen sozialistischen Mythen gleich mit weggelacht.

Das Bremer Packhaustheater zerrt Uhltzscht nun wieder in einer volkseigenen Badewanne ins Bühnenlicht. Personality-Show für einen vergessenen Helden. Und der will die Chance 175-prozentig nutzen. Mit einigen Dosen Bier mühsam sediert, steht Uhltzscht nach Jahren des Schweigens unter Hochdruck. Raus muss der ganze Wortdurchfall eines fanatischen Untertans.

Nach dutzenden Theater-, Film- und Hörspielfassungen des Stoffs wissen wir: Uhltzscht muss ein vielschichtiger Komödiant sein, um seine Geschichte nicht zynisch ans Hohngelächter der Besserwessis zu verraten, sondern den beklemmenden Blick auf das beschädigte Leben eines autoritären Charakters zu gestatten. Im Packhaus gelingt das nicht. Uhltzscht spritzt mit Wasser statt mit Brussigs Pointen, hat mehr Schaum vorm Mund als in der Wanne. Er versteht sein Anliegen als hysterische tour de force, jagt mit aufgerissenen Augen und Mund, ohne Punkt und Komma durch den Text, erledigt ihn in olympischen 65 Minuten. Erst dann ein erstes Durchatmen. Ein Anflug von Ostalgie als Antwort auf den Fall der Mauer. In die sich Uhltzscht als metapherndes Rückenpolster wohlig hineinkuschelt.

Brussigs hochgetunte Satire auf die triebfeindlich-verlogene Kleinbürgerhölle DDR ist ein frech-fröhlicher Wenderoman. Im Packhaus wird er in eine längst wieder abgesagte Mode gekleidet. Da hilft kein Spreewald-Gürkchen und Rotkäppchen-Sekt, umsonst werden die wenigen Premierenbesucher damit verköstigt: Diese Produktion ist ein rasantes Missverständnis. Und Klaus Uhltzscht wird von Hans Schernthaner gespielt.

Jens Fischer

Helden wie wir, Packhaus-Theater, tägl. außer Mo., bis 31. Jan., 20 Uhr

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen