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Mit Uli in Teufels Küche

Putzen in Zeiten der Ich AG: ist auch nicht lustiger als früher. Damals war man schizophren, heute wohnt man in Ich-WGs. Das ist eher verwirrend als praktisch

Ich koche für fünf, aber nur Uli isst mit. Wütend und traurig gehe ich zu Bett

„Sagt mal – wer ist denn eigentlich mit Abwasch dran?“ Keine Antwort. Das habe ich mir gedacht: Sobald es unangenehm zu werden droht, wird blockiert. Dabei bin ich mir sicher, dass Uli dran ist. In der Spüle stapelt sich das Geschirr von zwei Wochen und stinkt. Aber Uli sitzt hier, schlürft seelenruhig seinen Tee und mauert. „Mach mal, Uli“, scheint er zu denken. Und Uli genauso – der Anblick von diesem verschnarchten Typen, um vier Uhr nachmittags im Bademantel, geht mir auf die Nerven. Daneben die Uli, weniger als notdürftig bekleidet, sinnlos provozierend. „Zieh dir doch wenigstens mal was über“, raunze ich. Sie giftet zurück: Ich solle gefälligst nicht so verklemmt sein. Die Atmosphäre ist mal wieder echt Scheiße – wie zuletzt bei fast jedem Plenum in unserer Ich-WG.

Die andere Uli steht auf. Sie fängt an zu zittern, wie so oft, wenn bei uns gestritten wird. Sie ist psychisch nicht sehr stabil – nichts war davon zu merken, als wir einstimmig für sie votiert hatten, als Zimmernachfolgerin von Uli, dem schizophrenen Hobby-Autor. Uli zieht sich in ihr Zimmer zurück. Nach einer Weile gehe ich hinterher, klopfe vorsichtig an und betrete den Raum. Ich sehe mich um: Sieht immer noch genauso aus wie vorher bei Uli und übrigens auch wie bei mir – merkwürdig! Die Zimmer der anderen ebenfalls – die gleiche Einrichtung, der gleiche Schnitt.

Dabei wird WG-Bewohnern ja gerne der Hang zum Individualismus nachgesagt, aber vielleicht gilt das nicht für Ich-WGs. Wenn es allerdings ans Erledigen gemeinsamer Pflichten geht, würde ich mir von meinen sauberen Mitbewohnern wiederum mehr soziale Konformität und Verantwortung wünschen. Uli liegt weinend auf dem Bett. Ich tröste sie und verspreche, dass ich mal wieder, um des lieben Friedens Willen, an Ulis Stelle den Abwasch machen werde. Zurück in der Küche, grinst Uli süffisant. Dieses Arschloch hat mal wieder gewonnen! Uli gähnt teilnahmslos. Wenn der nicht so phlegmatisch wäre, könnte ich mir von seiner Seite möglicherweise sogar Unterstützung erhoffen. Uli dagegen wirkt eingeschnappt. Es hat fast den Anschein, als wäre sie eifersüchtig. Ich wage nicht, das Thema anzusprechen – sie würde ohnehin alles abstreiten. Ich wasche ab und putze anschließend auch noch das Bad, obwohl eigentlich Uli dran wäre – das steht schließlich groß auf dem Plan neben dem Spiegel. Später stelle ich mich in die Küche und koche. Irgendeiner muss es ja tun. Die einzige Genugtuung, die mir bleibt, ist, dass ich mir nach dem Klosaubermachen nicht die Hände gewaschen habe. Ich koche für fünf, aber außer mir isst nur Uli was. Ich fühle mich hier langsam echt ein bisschen verarscht. Wütend und traurig gehe ich zu Bett.

Ich kann nicht einschlafen. Trotz der vielen Wohnis fühle ich mich einsam. Mal denke ich an ein großes Donnerwetter, ein weiteres Plenum, auf dem so richtig die Fetzen fliegen, dann wieder an Auszug: Ich habe doch alles versucht, habe mit Engelszungen auf Uli eingeredet, habe Uli beschworen, habe Uli und Uli beschimpft – ohne Resultat. Gerade, als sich endlich ein wenig Erschöpfungsschlaf einstellen möchte, höre ich das Trippeln nackter Füße. Es ist Uli. Sie könne nicht einschlafen, ob sie zu mir ins Bett kommen dürfe. Meinetwegen. Knurr. Dann liegt sie neben mir. Ich rieche ihren Duft und spüre ihren Atem. Was soll das, um Himmels Willen, geben? Dabei weiß doch jedes Kind: „Nee in der WG! Kein Spagat im Kombinat! Geschlossene Hose in der Kolchose!“ Bloß nichts innerhalb der WG anfangen – da kommt man noch in Teufels Küche! Auf der anderen Seite: Sind wir da nicht schon längst? Uli, ich bin so wild nach dir! Und so lasse ich es am Ende gerne geschehen, als Ulis Hände sanft forschend über unseren Körper wandern.

ULI HANNEMANN

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