: Schlag nach bei Nietzsche
Heute Abend wird „Deutschland“ um einen „Superstar“ reicher sein. Sehen, zuhören, verstehen: Ein kleiner Rückblick auf die perfekteste Verwertungskette der TV-Geschichte im Spiegel des Feuilletons
gesammelt von HEIKO DILK, ARNO FRANK und CLEMENS NIEDENTHAL
Dieter Bohlen: „Du musst es unbedingt wollen! Der Wille ist superwichtig.“
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Arthur Schopenhauer: „Man könnte demnach die Welt ebenso gut verkörperte Musik als verkörperten Willen nennen.“
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Dieter Bohlen: „Sexy Outfit ist superwichtig.“
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Endrundennachrückerin Nicole Süßmilch: „Ich hab schon Klamotten, wo ich sag, die sind ein bisschen sexy.“
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Berliner Zeitung: „Das Faszinosum der Castingshow entfaltet sich vor dem Hintergrund des Leistungsprinzips – der zentralen Stütze des Kapitalismus, die gegenwärtig eine beunruhigende Schwächephase durchläuft.“
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Dieter Bohlen: „Ich glaube letztendlich schon, dass die Stimme entscheidend ist und das Gefühl, das da rüberkommt.“
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Der Tagesspiegel: „Die Zuschauer suchen hier jene überlebensgroßen, echten Emotionen, wie sie selbst im Gefühlsfernsehen selten vorkommen, bei der Oper aber garantiert sind.“
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Friedrich Nietzsche (im besten „Superstar“-Alter von 14 Jahren): „Auch gewährt die Musik eine angenehme Unterhaltung und bewahrt jeden, der sich dafür interessiert, vor Langeweile. Man muss alle Menschen, die sie verachten, als geistlose, den Tieren ähnliche Geschöpfe betrachten.“
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Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS): „RTL ist überfordert, weil der Sender die riesigen Gefühle, die er mit allen Mitteln hervorruft, nicht mehr kontrollieren kann.“
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Jurorin Shona Fraser (über das Ausscheiden von Gracia): „Ich finde das so schlimm, ich finde das eine Tragödie.“
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Der Tagesspiegel: „… den griechischen Chor [die Viererjury], der wie in der antiken Tragödie nicht nur jede Bewegung der Protagonisten kommentiert, sondern auch in die Zukunft schauen kann.“
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Dieter Bohlen: „Da kam einer rein, hat gesungen wie ’ne Quarktasche, da haben wir gesagt: Auf Wiedersehen.“
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Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): „Hier trauen sich Leute, sich vor Publikum sagen zu lassen, daß sie ihre Träume vergessen können. DSDS ist eine grandiose Lektion in ehrenvollem Scheitern.“
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Endrundenteilnehmer Nektarios: „Gott und Jesus haben mir diese Stimme geschenkt.“
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Berliner Zeitung: „Auch die letzten zehn Kandidaten mussten sich von der Jury einige persönliche Kränkungen über ihr Outfit anhören. Dann ziehen die vier [Juroren] in den Saal wie Imperatoren. Ihre Urteile sind von Profilsucht gejagt. Und jeder spielt seine Rolle.“
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Dieter Bohlen: „Ich bin immer gleich, aber die Umstände ändern sich.“
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Supersternchen Vanessa (im Fernsehen): „Der Dieter ist ganz anders, als die Leute im Fernsehen sagen.“
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FAZ: „Mit fortschreitendem Wettbewerb wurde der böse Bohlen immer freundlicher, leistete sich gar Momente der Selbstreflexion. Das ist allerhand für jemanden, dessen Alleinstellungsmerkmal darin besteht, mit sich und seiner Parodie identisch zu sein.“
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Supersternchen Judith (freiwillig ausgeschieden): „Meine Freunde haben schon gesagt, dass ich mich verändert habe.“
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Moderatorin Michelle Hunziker: „Judith hat uns allen bewiesen, dass dieser Wettbewerb wirklich kein Zuckerschlecken ist.“
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Jurorin Shona Fraser über Judith: „In so einem Moment denkt man: Ja, das ist es, genau deshalb sind wir hier.“
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FAZ: „Judith hat gewonnen. Superstar wird in einigen Wochen ein anderer werden, Daniel Küblböck wahrscheinlich, der sich inmitten von Kindergartengruppen so wohl fühlt und es schade findet, „wenn Leute ‚puh‘ schreien“. Er wäre der passende Superstar für ein kindisches Land. Judith jedoch hat das System besiegt. Adorno wäre stolz auf sie.“
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Endrundenteilnehmer Nektarios (deshalb ausgeschieden): „Die Leute vor dem Fernseher mögen es nicht, wenn man mit dem Finger auf sie zeigt.“
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FAS: „Und das Publikum ist überfordert, weil es das Versprechen des Ganz Großen Glücks für bare Münze nimmt und entsprechend heftig auf das Gefühl der Ungerechtigkeit reagiert.“
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Friedrich Nietzsche (über schlechte Musik): „Ein verdrießlicher Schweiß bricht an mir aus.“
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Moderatorin Michelle Hunziker über die 80er-Jahre: „Das Zeitalter, wo es immer gute Laune gab.“
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Daniel Küblböck: „Die Welt wäre sehr leise, wenn nur die begabtesten Vögel singen würden.“
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Superstar-Erfinder Simon Fuller: „Popstars sind nichts als Marken, die man bis zum Letzten ausnehmen muss.“
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Walter Benjamin: „Jeder heutige Mensch kann einen Anspruch vorbringen, gefilmt zu werden. […] Damit ist die Unterscheidung von Autor und Publikum im Begriff, ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren.“
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Modern Talking: „TV makes the superstars.“
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Arthur Schopenhauer: „Sich populär audrückend könnte man sagen: Die Musik im Ganzen ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist.“
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Superstars United: „Music will survive.“
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