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Schnäppchengesellschaft

Wia ham alle ma jelernt!

„Ich geh mal zum Schnäppchen“, sagt man in Nordneukölln. Damit ist lange nicht mehr „Kaufst du, sparst du“ oder der „Karl Marx-Shop“ gemeint. In jeder Großfamilie, jeder Eckkneipe und jedem Freelancer-Büro jenseits der Sonnenallee finden sich die – von Karstadt ausgemusterten und in den „Hertie-Schnäppchenmarkt“ verbrachten – Küchenutensilien. Und Schreibwaren. Wäschestücke.

Samstag ist 70-Prozent-Tag, und Hunderte stehen stirnrunzelnd und kopfrechnend vor der ausgemusterten Ware. Um Punkt zehn Uhr morgens hatten sie sich vor den mit purzelnden Prozenten beklebten Schwingtüren gesammelt. Auch ich stehe vor den durchwühlten Regalen und runzle die Stirn. Dann stelle ich mich an eine der Kassen. Hier formen die Wartenden mit bergeweise Klamotten und Schnickschnack 15 Meter lange Schlangen. Zwei laufen zur Nachbarschlange über, ich rücke einen halben Meter vor.

Nach 20 Minuten belustigter Beobachtung – es wird geschimpft und geschoben – werde auch ich ungeduldig. In verschiedenen Sprachen murmelt die Schlange laut und lauter. Ich weiß, woran sie Anstoß nimmt: Die junge Aushilfskraft zieht zum zweiten Mal drei Dutzend Sockenpaare über den Scanner. Einstimmig verlangt die Schlange in eloquentem Deutsch, die Frau (man mutmaßt, sie beziehe, wegen ihrer Langsamkeit unberechtigterweise, Hartz IV) zu ersetzen. Die Sprechanlage knarzt: „Wia ham alle ma jelernt!“

Nach einer Stunde stehe ich vor der Kassiererin. Wir schwitzen beide. Sie runzelt die Stirn. Dann sucht sie den Taschenrechner, was meine Schlange leidenschaftlich kommentiert. Morgen werden wir wieder vor dem Schnäppchen stehen.

SONJA VOGEL

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