piwik no script img

Bässe aus dem Nichts

In welchen Pötten hat Marko Beyer eigentlich noch nicht gerührt? Der House-Mann aus Bremen produziert Platten, Radiosendungen und Hörspiele. Außerdem betreibt ein eigenes Label und bildet sich zur Entspannung mit Nietzsche weiter. Porträt eines rastlosen Geistes

Der Blick aus den blauen Augen schweift über tausende von Schallplatten, mehrere PCs und zentnerweise Aufnahmegerät. Marko Beyer atmet tief durch und lehnt sich in seinem Ledersessel zurück.Er scheint eine leichte Unruhe zu unterdrücken.

„Mein Denken war schon immer sehr von Nietzsche beeinflusst“, sinniert er und starrt an die Wand seines neu eingerichteten Tonstudios in Hemelingen. Er konzentriert sich – kein Leichtes, den umstrittensten Philosophen des 19. Jahrhunderts in knappen Worten korrekt zu paraphrasieren: „Aus dem Nichts etwas erschaffen, gängige Wertvorstellungen in Frage stellen, das war es, was ich immer schon machen wollte.“

Mit diesem Wunsch steht der 34-jährige House-Produzent und DJ natürlich nicht alleine da – gerade in der Medienbranche, in der er seit Mitte der 80er unterwegs ist. Dort wimmelt es von versponnenen Dummschwätzern, die sich solche Ideale als prickelnden Lebensentwurf auf die Fahne schreiben und es dann dabei belassen.

Nicht so Beyer. Er hat schon früh erkannt, dass Nietzsche-Zitate nicht nur toll klingen, sondern auch Taten fordern.

Als junger DJ in einer „fiesen Großraumdisco“ im heimatlichen Wilhelmshaven fing er 1986 als einer der Ersten an, mit HipHop zu experimentieren. Die musikalische Umwertung aller Werte sorgte anfangs für leer gefegte Tanzflächen. Doch Beyer ließ sich nicht beirren, bis er irgendwann mit „The Power“ von Snap die Menge im Griff hatte.

Als der Ostfriese während eines zweijährigen Aufenthaltes in London Mitte der 90er selbst HipHop-Tracks produzieren wollte, war das sogar dieser weltoffenen Metropole zu revolutionär: „Als Weißer warst du im HipHop damals ziemlich verpönt. Da blieb nur House übrig“, erinnert sich Beyer an seine erste eigene Veröffentlichung. Doch aus der anfänglichen Notlösung wurde schnell jene Leidenschaft, die ihn auch heute noch antreibt.

Eigentlich war der gelernte Bankkaufmann nach London gekommen, um sein in Bremen begonnenes Studium der Wirtschaftswissenschaften an der School of Economics fortzusetzen – nun machte er ein Praktikum bei BBC Radio 4, fing ein Studium der Radiowissenschaften an und legte nächtelang auf Hausbesetzer-Parties Acid House auf.

„Wenn sich die große Masse in eine Richtung bewegt, muss ich dann mit?“ Beyer fährt sich mit der Hand durch den dichten, blonden Schopf und bringt seine nach hinten gekämmten Haare wieder akkurat auf Linie. Diese Frage hat ihn bei seiner Nietzsche-Lektüre am meisten beschäftigt.

Statt auf den nächstbesten Zug aufzuspringen, wollte er lieber „Neuland kultivieren“.

Das hatte sich schon in seinen Bremer Studienjahren angebahnt: mit neuen, ungewöhnlichen Sounds hatte er die Clubs gerockt und nebenbei das Radio 46 im Waller Medienzentrum mit aufgebaut.

Nun stand seine Abschlussarbeit zum Magister der Radiowissenschaften an: ein experimentelles Hörspiel. 1996 zog er nach Berlin und produzierte für Jam FM die erste bundesweite House-Sendung. Sein Hang zum Individualismus und die fehlende Bezahlung trieben ihn jedoch nach drei Monaten in die Selbstständigkeit. In einem Hinterhof hob er den Sender BFM 104,1 aus der Taufe.

1999 gründete er sein Label „Dancewax Berlin“, das er nach seinem Umzug zurück nach Bremen – ohne den Hauptstadt-Zusatz im Namen – von Hemelingen aus führt. Die Firma, zu der inzwischen zwei Sublabels gehören, hält ihn 13 bis 14 Stunden täglich auf Trab. Gerade hat er seinen ersten Viedeoclip abgedreht, die Organisation seiner neuen Party-Reihe „Dancewax Unplugged“ erledigt sich auch nicht von alleine – Beyer blickt auf die Uhr. Er muss wieder an die Arbeit. Was auch sonst?

Till Stoppenhagen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen