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Gedächtnis auf Arabisch

Träume und Albträume: Das Festival Internationaler Dramatik widmet sich in Berlin dem Theater Palästinas

Seit 2001 veranstaltet die Berliner Schaubühne jährlich ein Festival internationaler neuer Dramatik, stets mit Blick auf ein bestimmtes Land. Im Jahr 2008, dem Jahr des 60. Jubiläums der Staatsgründung Israels, ist Palästina im Fokus. Das ist keinesfalls als einseitiges politisches Statement der Schaubühne zu lesen – Israel war bereits Schwerpunkt im vergangenen Jahr –, aber doch gutes Timing: Nach den zahlreichen Diskussions-, Film- und Literaturveranstaltungen zum jüdischen Staat will man wissen, was Thema in den besetzten Gebieten ist. Schließlich wird auch hier das Jahr 1948 als ein besonderes erinnert, wenngleich unter anderen Vorzeichen. Der Zeitpunkt 1948 steht für die „Nakba“, zu deutsch „Katastrophe“ – und die ist, rein dramaturgisch gesehen, selbstredend prädestiniert fürs Drama.

Tatsächlich bezogen sich alle sieben, zumeist in szenischen Lesungen vorgestellten Stücke explizit auf die politische Situation der Region. Aber mit der Erinnerung ist es so eine Sache – vor allem wenn sie, wie für die jüngeren Autoren, gewissermaßen eine Erinnerung zweiten Grades ist. Den Ursprung des Konflikts, die Nakba, kennen sie nur aus den Erzählungen der Eltern. Womit sie leben, sind die Folgen, in denen sich die Katastrophe beständig aktualisiert. Die alltägliche Erniedrigung und der Wille zur Selbstbehauptung sind entsprechend zentrale Themen der Arbeiten.

Dazu aber kommt das Bewusstsein, dass diese Erfahrung zwar allen gemein ist, aber keine gemeinsame Erfahrung: Durch ihr Leben in Gaza oder Ostjerusalem oder im Westjordanland, als Araber in Israel oder im Exil sind die Palästinenser längst auseinandergerissen. Von der Kluft zwischen den Generationen ganz zu schweigen. Auch diese Verlorenheit ist gemeint, wenn Wajdi Mouawads großartiges Solo „Seuls“ mit der offenen Frage endet: „Wie sagt man ,Gedächtnis‘ auf Arabisch?“ Ein einzelnes Wort kann das nicht mehr fassen.

Schon im ersten vorgestellten Stück, Hussein Barghoutis „Nein, er ist nicht tot“, widersprechen sich alle Figuren in ihren Erklärungen der Vergangenheit. Das Kammerstück – folkloristisch eingerichtet von Francois Abu Salem – beginnt mit der Ankunft eines Pakets von Salamehs Vater, der die Familie vor langer Zeit verließ. Nachbarn und Verwandte erzählen ihm daraufhin je unterschiedliche Gründe für seine Abwesenheit: Er ging, um in Amerika reich zu werden, weil er sich verliebt hatte, weil er die Religionen vereinen und die Welt retten wollte. Für Salameh schnurrt die Situation auf einen simplen Befund zusammen: „Dein Traum, Vater, ist mein Albtraum geworden.“

In der von Abu Salem als Ko-Autor verfassten „Geschichte des Dorfes Kufur Schamma“ stellt sich die Situation quasi umgekehrt dar. Hier kehrt ein Sohn nach langer Abwesenheit zurück, während der – wir schreiben das Jahr 1948 – das ganze Dorf verschwunden ist. Den Heimatverlust nicht akzeptierend, sucht Walid die Dorfgemeinschaft überall, bis er sie schließlich in Massachusetts findet. Seine Rückkehridee nach Palästina finden alle super, können aber aufgrund diverser Partys und Hockeyspiele nicht teilnehmen. Der Albtraum der Vertreibung hat in den Traum des Exils geführt. Schläfrigkeit indes beim Publikum, denn die Figuren sowie die Handlungsführung des Stücks sind ermüdend eindimensional.

Francois Abu Salem, der in Jerusalem und Paris lebt, gilt als Großvater des palästinensischen Theaters. Im Jahr 1977 gründete er mit El-Hakawati das erste palästinensische Ensemble, das durch den Umbau eines alten Kinos 1983 zum ersten Theater des Westjordanlands wurde. Bis heute gibt es kaum Theaterhäuser in den Gebieten; die vereinzelten Truppen proben unter schwierigen Bedingungen und spielen in Kulturzentren. Touren ist aufgrund von Restriktionen und Checkpoints so gut wie unmöglich. Trotzdem hat sich das palästinensische Theater weiterentwickelt. „In den 70ern haben die Ölgemälde gemalt – wir fotografieren“, beschreibt Wafa Hourani, 1979 geboren und selbst zwischen Ramallah und London pendelnd, die Situation.

Eindrückliche Beispiele für eine neue Ästhetik lieferten die Gastspiele während des Festivals: das bereits in Avignon gefeierte „Seuls“ des Kanadiers Wajdi Mouawad und Taher Najibs „In Spuckweite“. Najib lässt einen Schauspieler von seinem Ekel und seiner Hassliebe zu Ramallah sprechen, von der Absurdität, dort Theater zu spielen („Im zweiten Akt begehe ich alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit“), von der Leichtigkeit Paris’ und den Demütigungen beim Versuch, als Palästinenser mit israelischem Pass zwischen den Städten zu reisen.

Das geschieht ohne jede Larmoyanz in großer Klarheit, mit einer Aggressivität, die stets von Fassungslosigkeit besiegt wird. Weil es unbegreiflich und unmöglich bleibt, diese Verhältnisse als Status quo im 21. Jahrhundert zu akzeptieren.

Dass die Website des Palästinensischen Nationaltheaters (www.pnt-pal.org) mit „Happy New Year 2006“ und „There are no upcoming events“ grüßt, ist dabei emblematisch, aber noch das geringste Problem.

CHRISTIANE KÜHL

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